Ostermontag, 7. April 1958  Wolfenhausen / Nellingsheim

86,1-3        Auf, auf mein Herz mit Freuden (11)

79,1-6        Gelobt sei Gott (86)

86,6 Auf, auf mein Herz (11)

89,5+6       Jesus lebt, mit ihm auch ich (146)

1.Kor 15,35-43  Joh 20,19-29

 

Liebe Gemeinde!

Ich habe einmal einen amerikanischen Film gesehen, der die Auferstehung Jesu zum Gegenstand  hatte. Dieser Film war sicher sehr gut gemeint. Er sollte die Erzählungen der Bibel veranschaulichen, er sollte den Glauben an die Auferstehung Jesu wecken helfen. Ich habe mich dann gefragt, warum es mir eigentlich so peinlich gewesen ist, den auferstandenen Heiland im Film vorgeführt zu bekommen, von einem Schauspieler verkörpert, und gezeigt mit allen technischen Möglichkeiten, die uns der Film bietet?

Seht: Das geht nicht! Wenn wir den auferstandenen Herrn so darstellen, wenn wir ihn uns so denken, wenn wir ihn uns so in unserer Fantasie vorstellen: Ziehen wir ihn dann nicht genauso wieder herein in unsere irdische Welt, wie das Maria Magdalena wollte, als ihr der auferstandene Heiland am Grabe begegnete? Ihr hat er sein warnendes: rühre mich nicht an! zugerufen. Das gilt auch uns, dieses: Rühre mich nicht an! Und es ist die Schwierigkeit jeden Redens und Nachdenkens über die Auferstehung Jesu, dass wir in der Gefahr sind, den Herrn in unsere irdische Wirklichkeit zurück zu zerren, so, wie das jener amerikanische Film getan hat. Denn seht: Wir müssen ja reden von seinem neuen Leben – und wissen doch, dass dieser Leib etwas ganz anderes ist als jeder irdische Leib. Seht, das ist unsere große Gefahr, wenn wir von der Auferstehung reden: Dass wir unseren auferstandenen Herrn mit unseren Reden und Denken und Vorstellen zurück zerren in diese irdische Welt, die er doch endgültig hinter sich gelassen hat, ihn zurück zerren wie jener amerikanische Film, von dem ich eingangs erzählt habe. Der Evangelist Johannes hat diese Gefahr gesehen. Und hat sich gleich von vorneherein dagegen gewehrt, in der Art, wie er die Begegnung Jesu, des Auferstandenen, mit seinen Jüngern am Osterabend schildert, und genauso dann auch jene zweite Begegnung, in welcher er den ungläubigen Thomas überzeugte. Es ist nur eine Kleinigkeit, auf die ich aufmerksam machen will. Aber gerade auf diese Kleinigkeiten kommt es an, wenn wir recht verstehen wollen. Johannes berichtet, dass die Türen des Raumes, in dem die Jünger versammelt waren, verschlossen waren. Und ebenso ist es acht Tage später: „Kommt Jesus, da die Türen verschlossen waren, und tritt mitten ein und spricht: Friede sei mit euch!“ Seht, das möchte uns Johannes damit sagen: Lasst euer irdisches Denken und Reden und Vorstellen und Darstellen des auferstandenen Herrn bleiben. Es reicht nicht zu für die Herrlichkeit Gottes, die an dem verklärten Leib des auferstandenen Heilandes erscheint. Das sagt er uns: Könnt ihr euch einen Leib denken, könnt ihr euch überhaupt einen irdischen Stoff denken, der nicht seinen Raum einnehme? Aber der auferstandene, der durch die verschlossene Tür getreten ist, der hat solchen Leib. Für ihn gibt es die Grenze des Raumes nicht mehr, die unser irdisches Wesen kennzeichnet. Seht, liebe Freunde! Das ist ja eine uralte Sehnsucht des Menschen, diese Grenze zu überwinden. Da zu sein, wo man sein möchte, in demselben Augenblick, wo man es wünscht. Die Schranke zu überwinden, die unserem irdischen Wesen durch seine Leiblichkeit gesetzt ist. Diese Sehnsucht spricht sich zum Beispiel aus in dem Märchen von den Sieben-Meilen-Stiefeln. Und der Rausch, den es auslöst, auf einem Motorrad in großer Geschwindigkeit dahin zu jagen, rührt er nicht auch daher, dass wir dabei es erfahren, wie Entfernungen zusammen schrumpfen, wie der Widerstand des Raumes zu weichen scheint. Und doch: Wir bleiben gebunden an diesen Raum, so schnell wir uns auch darin fort bewegen. Aber der auferstandene Herr, er hat diese Schranke des Raumes überwunden. Das will uns Johannes sagen, indem er so sorgfältig und gewissenhaft berichtet, dass die verschlossenen Türen kein Hindernis gewesen sind für Jesus.

Aber freilich, da kann sich nun in unserem Herzen leicht der Zweifel regen, der auch den Thomas bewegte. Der Zweifel nämlich, ob das möglich ist. Ob der, den die Jünger so gesehen haben, in dieser verwandelten, in dieser allen Schranken des Irdischen entnommenen Gestalt – ob der den wirklich derselbe sein kann, den er, Thomas, als Mensch gekannt hat. Der, von dem uns die Evangelien berichten, dass er von Ort zu Ort gewandert ist, wie jeder andere Mensch auch. Von dem sie berichten, dass er geschlafen, gegessen, getrunken habe wie jeder andere Mensch auch. Kann er derselbe sein, wie dies neue, herrliche Wesen, das nun auf unbegreifliche, auf göttliche Weise in die Mitte der Jünger tritt? Kann er derselbe sein? Seht, er ist derselbe. Und dafür nennt uns Johannes einen untrüglichen, einen unanfechtbaren Beweis: Der da erscheint, der zeigt seine Wundmale. Er trägt diese Wundmale an sich, weist sie den Jüngern vor und gibt sich durch diese Wundmale zu erkennen. Und als er nach acht Tagen wieder kommt, um auch den ungläubigen Thomas zu überzeugen, da sind es wieder seine Wundmale, auf die er hinweist. Er ist derselbe, der nun, befreit von allem Irdischen, unter die Jünger tritt, er ist derselbe wie der, der am Kreuze hing. Das zeigt er den Jüngern. „Da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen.“ Doch nicht nur ein Erkennungszeichen sind diese Wundmale, die der auferstandene an sich trägt. Sie sind ein Zeichen seines Sieges, sind ein Zeichen seiner Herrschaft. Seht – als Jesus zu dem ungläubigen Thomas trat, als er ihm seine Hände zeigte, dieser ihn aufforderte, seine Hand in Jesu Seite zu legen – so wie das Thomas vorher doch verlangt hatte – da merkte der Jünger das unbillige seines Verlangens. Der Evangelist berichtet uns nichts davon, dass Thomas wirklich die Wunden Jesu betastet habe – und er hat es auch sicher nicht getan. Er wusste, was ihm zustand, als der Auferstandene vor ihn trat. Er wusste, hier war ihm das Bekenntnis abverlangt: Mein Herr und mein Gott!

Liebe Freunde! Die Wundmale, die der Auferstandene trägt, sind für ihn Siegeszeichen. Zeichen des Sieges, den er am Kreuz errungen hat. Zeichen des Sieges, den er errungen hat durch seinen vollkommenen Gehorsam, durch sein vollkommenes Vertrauen gegen Gott. Diese Zeichen des Sieges nimmt er mit in sein neues Leben in der göttlichen Herrlichkeit, diese Zeichen des Sieges, mit dem er diese Welt überwunden hat. Seht, es ist gut, wenn wir dem noch ein wenig nachdenken. Wenn wir begreifen, was das bedeutet, dass der auferstandene Herr die Wundmale trägt als die Zeichen der Herrlichkeit, als die Zeichen der Überwindung. Das heißt: Was er hier im Vertrauen auf Gott erduldet hat, das nimmt er mit in das Leben beim Vater. Und was von ihm gilt, liebe Freunde, das gilt genauso von uns, gilt genauso von denen, die ihm im Glauben nachfolgen, und die er darum seine Brüder heißt. Wenn wir danach fragen: Was werden wir einst mitnehmen aus diesem Leben? Was wird uns bleiben, wenn für uns die Stunde des Abschieds aus dieser Welt gekommen ist – dann hält uns der Heiland seine durchbohrten Hände entgegen, dann zeigt er uns seine durchstochene Seite. Das bleibt euch, sagt er uns damit, was ihr im Glauben erduldet und ertragen habt. Das bleibt euch, was ihr in meiner Nachfolge auf euch genommen habt. Das bleibt euch, was ihr erlitten habt in dieser Welt im Vertrauen auf den Gott, der Macht hat auch über Tod und Vergehen. Der Macht hat, gerade die Zeichen des Todes und des Vergehens in Zeichen des Sieges zu verwandeln.

Doch noch eines müssen wir nun betrachten, wollen wir wirklich ausschöpfen, ganz begreifen, was unser Evangelium uns sagt. Seht, Jesus ist auf das Verlangen des Thomas eingegangen. Er hat sich nicht geweigert, der ungläubigen und trotzigen Forderung dieses Jüngers entgegen zu kommen. Aber zugleich mit diesem Entgegenkommen weist er ihn auch sehr deutlich zurecht: „Dieweil du mich gesehen hast, Thomas, so glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“ Und zeigt damit, mit dieser Zurechtweisung, dem Thomas, und den anderen Jüngern, und uns allen, die wir vom Zweifel umgetrieben sind, die wir viel gerner selber sehen möchten, statt nur zu hören von dem, was uns andere berichten: Er zeigt uns allen mit diesem Wort, wie wir Zugang gewinnen können zu seiner Herrlichkeit. Zeigt uns, dass wir diesen Zugang zur Herrlichkeit unseres Heilandes nicht gewinnen, indem wir trotzig bestehen auf unserem Verlangen, diese Herrlichkeit zu sehen. Sondern dass wir diesen Zugang in Wahrheit nur gewinnen durch den Glauben: Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.

Liebe Freunde! Das wissen wir ja im Grunde ganz genau: Nur so, nur im Glauben können wir den Zugang zur Herrlichkeit des Heilandes finden. Aber wir wollen es doch oftmals nicht wahr haben. Freilich: Auf den Gedanken des Thomas ist wohl schwerlich schon jemand von uns gekommen. Auf den Gedanken nämlich, den auferstandenen Heiland sehen zu wollen, seinen Finger  in dessen Nägelmale, die Hand in seine Seite legen zu wollen. Aber sehen wollen wir doch gar zu gerne. Etwas sehen wenigstens in unserem eigenen Leben. Etwas sehen von der Herrlichkeit, von der Macht des auferstandenen Herrn. Wir brauchen nur an das zu denke, was wir schon alles von ihm erbeten haben. Was wir schon alles für törichte Bitten an ihn gerichtet haben. Bitten, die im Grunde alle auf das Gleiche hinaus laufen: Bitten, dass uns das Kreuz erspart werde, dass wir die Herrlichkeit, dass wir den Schutz, die Hilfe des Heilandes erleben dürften ohne das Kreuz. Ich brauche dieses Verlangen gar nicht näher auszumalen. Ihr wisst sicher, was ich meine, und jeder wird aus seiner eigenen Erinnerung genug Beispiele beibringen können für dieses Verlangen, an der Herrlichkeit Jesu teil zu nehmen, ohne dass wir sein Kreuz schmecken. Da gilt es uns allen, das Wort, mit dem Jesus den ungläubigen Thomas zurechtweist: Selig sind, die nicht sehen und doch glauben. Seht, um das durchzuhalten, dieses Glauben, das nichts sieht von der Herrlichkeit, das nichts sieht als das Kreuz, dazu brauchen wir nun wirklich die hilfreiche Gegenwart des Herrn. Er schenkt uns diese Gegenwart. Das ist vielleicht das Größte, was uns unser heutiges Evangelium sagt, dass es uns zeigt, wie unser Herr zugegen ist bei uns, um unseren Glauben zu wecken, zu stärken, zu erhalten. Es wird uns diese Gegenwart gezeigt in dem Wort Jesu an seine Jünger: „Gleichwie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.“ Seht, seine Herrlichkeit, die muss uns verborgen bleiben, solange wir in dieser Welt leben. Sie muss uns verborgen bleiben, denn unsere irdischen Augen sind ja nicht imstande, diese Herrlichkeit wirklich zu schauen. Aber gleichwohl wissen wir von dieser Herrlichkeit. Geleichwohl zeigt er uns, wo wir seine Herrlichkeit finden können. Sie begegnet uns im Wort seiner Jünger. In dem Wort, das diese Jünger nieder geschrieben haben, in dem Wort der Predigt, das auf dem Grund dieser Schrift fußt. Wer von uns könnte denn glauben, wenn er dieses Wort nicht hätte? Wer von uns wüsste denn von der Herrlichkeit dieses Herrn, wenn ihm nicht davon gesagt wäre. Das ist der tiefste Sinn des Wortes, das Jesus zu Thomas sagt: Selig sind, die nicht sehen und doch glauben. Er sagt dies: Wenn ihr mich sucht, den Auferstandenen, den, der überwunden hat, den, der stärker ist als Welt und Sünde, als Tod und Teufel, dann sucht mich dort: Im Wort. Dort werdet ihr mich finden. Dort werdet ihr der Kraft meiner Auferstehung teilhaftig werden. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben. Amen.