Pfingsten, 18.5.86 Erlangen
Neustadt
98, 1-3
Intr. 12
100,1-3
105
139
Großer Gott,
der du alle Macht hast im Himmel und auf Erden – tröste uns
durch dein lebendiges Wort in der Kraft deines Heiligen Geistes, dass wir uns freuen
an deiner Treue und hoffen auf deine Liebe, die uns das Leben schenkt und
bewahrt, durch unseren Herrn und Bruder Jesus Christus, deinen Sohn, der mit
dir ...
Apg 2,1-21
Liebe Gemeinde!
Geredet haben sie – und verstanden haben sie: das ist das Pfingstwunder.
Geredet haben Leute, denen man das gewiss nicht zugetraut hätte. Petrus deutet
dieses Wunder, indem er den Propheten Joel anführt: Alle werden sie zu
Propheten – alle zu Experten, alle zu kompetenten Sprechern, die etwas zu sagen
haben. Alle: Die Söhne und die Töchter, die Jünglinge und die Greise, „alle
meine Knechte und Mägde“, so verheißt Gott. Was sie vorher gewesen sind, wie
sie geachtet waren oder verachtet, wie sie beredt gewesen sind oder schüchtern
und schweigsam: Jetzt können sie reden und müssen sie reden. Propheten,
Experten sind sie nun, kompetente Sprecher, alle miteinander. Das ist das
Pfingstwunder.
Und verstanden haben sie: Parther und Meder und Elamiter,
die aus Mesopotamien und aus Judäa, die aus Kappadozien und der Asia, die aus
Pontus und Phrygien und Pamphylien, Ägypten und Libyen, Kreter und Araber: Alle
haben sie verstanden. Wie es geklungen hat, das Reden dieser Experten, dieser
kompetenten Sprecher: Ich weiß es nicht so genau. Aber es wird ein merkwürdiges
Kauderwelsch gewesen sein, wenn es denn mit dem Grölen und Lallen von
Betrunkenen verwechselt werden konnte. Aber sie haben es verstanden, alle haben
dieses Expertenkauderwelsch verstanden. Das ist das Pfingstwunder.
Ein kleines bisschen von diesem Pfingstwunder hätte uns
allen in den letzten Wochen gut getan: Uns, die da auch von anderem
Expertenkauderwelsch überschüttet wurden, durch Leute, die als Politiker und
Wissenschaftler und Techniker doch eigentlich auch kompetent hätten sprechen
müssen. Ich brauche das hier nicht zu zitieren, die verwirrenden Zahlen,
Becquerels und Curies und Rems und Millirems und Mikrocuries, dieses Hin und
Her von keiner Gefährdung und akuter Gefährdung, von Warnung und Entwarnung,
von Anordnungen und Ratschlägen, was man zu essen habe und was nicht, und ob
man die Kinder in den Sandkasten lassen könne oder nicht, und dass das
strahlende Cäsium erst ganz wenig in den Boden eingedrungen sei, und es also
genüge, im Garten die oberste Schicht von etwa 3 cm abzutragen (das gelte auch
vom Kompost), und dann habe man wieder einen ganz gesunden Boden. Freilich,
wohin wir den strahlenden Dreck schütten sollen, das hat der nicht gesagt, der
diesen Rat gegeben hat. Expertenkauderwelsch, unverständlich und unverstanden.
Ein bisschen von diesem Pfingstwunder hätte uns allen gut getan, sicher. Aber
so einfach kommen wir da nicht zurecht.
Geredet haben sie – Experten, kompetente Sprecher. Und mag
es auch seltsam geklungen haben, dieses Expertenkauderwelsch, sie wurden verstanden.
Alle haben verstanden, ziehen wir einmal die paar ab, die nicht verstehen
wollten und ihre schlechten Sprüche machten, und von Betrunkenen redeten, die
da ins Gotteshaus nun gewiss nicht hinein gehörten. Geredet haben sie, und
verstanden haben sie – alles kompetente Sprecher und kompetente Hörer. Aber das
reicht noch nicht, das Pfingstwunder so zu beschreiben. Was sie gesagt haben,
was sie verstanden haben, das gehört mit dazu: „Wir hören sie in unseren
Sprachen von den großen Taten Gottes reden.“ Wenn es um unsere menschlichen Taten
geht, und um die Untaten, wenn es um unsere politischen und technischen und
wirtschaftlichen Großtaten geht, und um Pannen und schlimmeres, da brauchen
wir, so schön das wäre, auf ein solches Pfingstwunder nicht zu warten und nicht
zu hoffen (etwa auf der Konferenz der Atomkraft nutzenden Staaten, wie sie nun
betreiben wird).
Geredet haben sie von den großen Taten Gottes, diese
Experten und kompetenten Sprecher – und verstanden haben sie diese großen Taten
Gottes: Alle haben sie geredet, alle haben sie verstanden. Das ist das
Pfingstwunder. Und was uns Lukas dann weiter erzählt von der Predigt, die Petrus
da gehalten hat, zeigt an, was diese großen Taten Gottes waren: An dem Namen
Jesus von Nazareth hängt’s, was da zu sagen war und bis heute zu sagen ist:
Gott hat durch ihn geredet und gehandelt. Und als das damals den Leuten, die
das Sagen hatten, unerträglich geworden war, als sie ihn gewaltsam zum
Schweigen gebracht hatten, da hat Gott ihn auferweckt. Sein Geist ist es, so
sagt Petrus, durch den die jetzt reden und verstehen. Ich will es in zwei kurze
Sätze fassen, was da zu sagen ist: Gott lässt sich seine Menschen nicht nehmen.
Und: Gott lässt sich den Mund nicht verbieten. Das sind seine großen Taten.
Gott lässt sich seine Menschen nicht nehmen: Da war dieser
Jesus von Nazareth, aufgehängt, gekreuzigt und begraben. Tot. Aus ist es mit
ihm: Ja, wenn nicht Gott wäre, der sich seine Menschen nicht nehmen lässt.
Gott, der das Leben will und nicht den Tod. Gott, der Macht hat. Gott lässt
sich seine Menschen nicht nehmen: Diesen Jesus von Nazareth nicht. „Und es soll
geschehen: Wer den Namen des Herrn anrufen wird, der soll gerettet werden.“
Diesen Namen: Nicht ins Ungewisse hinein rufen wir nach Gott, angesichts der
Schrecken, die uns Angst machen, der offenen und der heimtückischen
Bedrohungen, die uns nach dem Leben trachten. Er hat jetzt seinen Namen: Jesus.
Er hat jetzt sein menschliches Gesicht, dieser Herr, unser Bruder, Gott lässt
sich seine Menschen nicht nehmen. Jesus nicht und nicht die, die zu ihm
gehören. Ihn, seinen Namen, anrufen: Das heißt, das sich auf diesen Namen
taufen Lassen. Das heißt, seinen Leib und sein Blut zu empfangen. Das heißt:
Durch ihn und mit ihm in der Gewissheit leben: Gott lässt sich seine Menschen
nicht nehmen.
Und Gott lässt sich nicht den Mund verbieten. Das Wort
Gottes: So heißt dieser Jesus. Und dieses Wort verstummt nicht. Dass es
aufhören solle, das haben sie damals gewollt, die Leute, die ihn nicht mehr
ertragen haben, die ihn töten ließen, damit er stumm werde, wie die Toten nun
einmal stumm sind. Aber Gott lässt sich den Mund nicht verbieten: Statt des
Einen, den sie beseitigt glaubten, stehen nun viele da, Propheten, Experten,
kompetente Sprecher alle miteinander, die gehört und verstanden werden: Gehört
und verstanden wurden die großen Taten Gottes. Gehört und verstanden wird: Gott
lässt sich seine Menschen nicht nehmen. Jesus von Nazareth nicht, und nicht,
die zu ihm gehören und seinen Namen anrufen und so gerettet werden, alle,
jeder. Gott lässt sich den Mund nicht verbieten, und jeder soll es hören und
sich daran freuen und sich damit trösten: Gott lässt sich seine Menschen nicht
nehmen.
Und lassen Sie mich das, sozusagen in Klammer und als eine Anmerkung
und Ausführung dieses gewissen Satzes doch auch sagen: Dieser Gott, der sich
seine Menschen nicht nehmen lässt, der hat unsere Menschenwelt in seiner Hand.
Ich bin nicht dieser Gott und kann ihn nicht in die Karten schauen. Aber wenn
er jetzt und in Zukunft, in 10 und in 100 und in 1000 Jahren noch Menschen auf
dieser Erde haben will, die den Namen des Herrn Jesus anrufen: Er wird es
wissen, wie er uns zur Vernunft bringt. Dazu bringt, dass wir nicht bloß an das
denken, was wir machen wollen und was wir haben wollen. Sondern denken an die,
die nach uns kommen: Kinder und Kindeskinder, die den Namen des Herrn anrufen.
Was da passiert ist in Tschernobyl, samt seinen Folgen für uns alle: Es könnte
ein Anstoß und eine Mahnung des Gottes sein, der sich den Mund nicht verbieten
lässt – und lässt sich erst recht seine Menschen nicht nehmen. Anstoß und
Mahnung könnte das sein. Und wie ich die Leute kenne, wird es noch härtere
Anstöße und noch kräftigere Mahnungen brauchen – darauf bin ich jedenfalls
gefasst. Aber Gott lässt sich seine Menschen nicht nehmen, und er lässt sich
den Mund nicht verbieten. Soweit das, was ich sozusagen in Klammer und als
Anmerkung nun doch auch sagen wollte.
Geredet haben sie und verstanden haben sie. Das ist das
Pfingstwunder: Geredet und verstanden, die großen Taten Gottes. Gott lässt sich
seine Menschen nicht nehmen. Und er lässt sich nicht den Mund verbieten.
Ihn rufen wir an, Gott, den Vater und unseren Herrn Jesus in
der Kraft und Vollmacht seines Geistes. Amen.
Du unser Herr und Bruder Jesus Christus!
Wir danken dir, dass wir deinen Namen anrufen können.
Wir bitten dich für deine Gemeinde an diesem Ort und in
aller Welt: Lass uns klar und verständlich von deinen großen Taten reden, dass
es die Menschen hören und verstehen und deinen Namen anrufen und gerettet
werden.
Wir bitten dich um Frieden und Recht für alle Menschen.
Wehre dem Streit, dem Hass, der Angst und Gewalt, dass wir alle zueinander
finden und miteinander leben auf dieser schönen Erde, die du uns anvertraut hast.
Wir bitten dich: Erhalte alles Leben. Lass uns begreifen,
wie wir aneinander gewiesen sind. Gib allen Menschen, was sie brauchen: Arbeit
und Brot, Gesundheit und Anerkennung. Besuche die Kranken, geleite die
Sterbenden, tröste die Trauernden.
Wir rufen dich an, unseren Herrn und Heiland. Rette uns um
deines großen Namens willen.