Kantate, 23.4.1978                        Johanneskirche/Alterlangen

 

75 Christ ist erstanden

237, 1-3.6.7 Dir, dir Jehova

 

 

Herr unser Gott,

 

der du die Wahrheit gesprochen hast durch Jesus Christus, die allen Wahn vertreibt,

wir bitten dich, gib, dass dein Wort durch deinem Geist in unsern Herzen wohne, damit wir erfahren, was recht und gut ist, und dir Lob singen durch unseren Herrn Jesus Christus, deinem Sohn, der mit dir in der Einheit des heiligen Geistes lebt und regiert in Ewigkeit.

Amen

 

Ep: Jak 1,17-21

Ev: Joh 16, 5-15

Predigt: Kol 3, 12-17

 

Liebe Gemeinde,

 

viele unter Ihnen haben vermutlich in den letzten Tagen wie ich die Berichterstattung vom Aschaffenburger Prozess über den Klingenberger Exorzismus [Anm. d. Rd.: s. z.B. http://de.wikipedia.org/wiki/Anneliese_Michel] verfolgt. Die Tendenz dieser Berichterstattung war eindeutig – da sind die paar fanatischen und irregeleiteten Gläubigen samt ihren Geistlichen, die überholte Wahnvorstellungen haben und sich gegenseitig in diesem Wahn bestärken, bis das Unglück geschehen und das kranke Mädchen gestorben war. Wahrscheinlich gehen wir alle wenigstens im groben Ganzen mit dieser Sicht einig, wie das Gericht - und sind ganz froh, dass diese Teufelsaustreiber katholisch waren und wir als evangelische Christen diese böse Geschichte nicht zu verantworten brauchen. Freilich sollten wir das, was da im Gerichtssaal aufgerollt wird, nicht zu rasch entrüstet von uns schieben. Es zeigt in der Verzerrung und Übersteigerung einer Gruppe von Außenseitern deutlich, was gemeinhin unser menschliches Miteinander bestimmt, und zwar so selbstverständlich, dass wir schon einen so krassen und außerordentlichen Fall brauchen, um es zu bemerken.

 

Ich will, um das zu verdeutlichen, ein wenig mit der Sprache spielen – das verrät oft Zusammenhänge, auf die man sonst gar nicht kommen würde. So ein Exorzismus ist ja bis vor kurzem gar nicht so außerordentliches gewesen – auch wenn er selten von Geistlichen und mit Hilfe offizieller kirchlicher Rituale vollzogen wurde. Aber es gab vor allem auf dem Lande Männer und Frauen, die konnten Krankheit bei Mensch oder Vieh, oder auch anderes Unheil bannen. Die Älteren unter ihnen kennen sicher solche Geschichten! Besprechen – so sagte man dazu. Ein Exorzismus, das wäre also auf Deutsch eine „Besprechung“. Und nun denken wir ruhig einmal daran, welche Rolle Besprechungen in unserem gemeinsamen Leben spielen. Es gibt Leute, die den Terminkalender voll haben von wichtigen Besprechungen, die von Besprechung zu Besprechung eilen. Und je wichtiger und einflussreicher einer ist, desto wichtiger und bedeutsamer sind auch seine Besprechungen.

 

Nun kann man sicher einwenden: Solche Besprechungen sind doch etwas völlig anderes als die Klingenberger Teufelsaustreibung. Da geht es um reale, notwendige Dinge, und nicht um eingebildete Dämonen. Aber so ganz sicher bin ich mir da nicht in jedem Fall. Wir besprechen ja Entscheidungen, die zu treffen sind, unsere Erwartungen und unsere Hoffnungen unsere Ängste, und, indem die besprochen werden, womöglich von einflussreichen und wichtigen Leuten, sind sie real. Und wir richten uns dann darauf ein. Wenn etwa die nuklearen Planungsgruppe der NATO dieser Tage in Dänemark über die russische Aggressionsdrohung geredet hat, und dass man der mit neu entwickelten Waffen, der Neutronenbombe oder einem ähnlichen System begegnen müsse – das schafft Realität. Die Russen besprechen dann wieder, was sie gegen diese Waffen tun, um ihre Ängste zu beschwichtigen. Ich führe das Beispiel nicht weiter.
Oder denken sie an die vielfältige Besprechung unserer Konjunktur in der Wirtschaft, oder an die Besprechung unserer zukünftigen Energieversorgung. So klar, rational, vernünftig, womöglich wissenschaftlich ist all solches Besprechen nicht – kann es gar nicht sein – weil auch wir modernen Menschen von Zukunftshoffnungen und Zukunftsängsten geplagt sind. Und die fließen ja mit ein in unsere vielen Besprechungen – wollen gebannt sein, und gewinnen dadurch vielleicht erst recht Macht!

Dazu erinnere ich noch einmal an unsere Sprache. Da heißt es: Man kann ein Unheil auch herbeireden, und: Man soll den Teufel nicht an die Wand malen, sonst kommt er! Da sind Erfahrungen, die uns vielleicht kaum bewusst sind – vor allem nicht den wichtigen Leuten, die von Besprechung zu Besprechung eilen. Aber wenn man dann so eine Klingenberger Besprechung vor Augen hat, wird einem das plötzlich deutlich: Was wir besprechen, das bestimmt uns selbst. Wir nehmen es wichtig, gehen damit um, handeln danach!

 

Und damit bin ich nun schon mitten im Text, den ich euch auszulegen habe. Was wir besprechen, das bestimmt uns – darum hier die Aufforderung: Lasset das Wort Christi reichlich wohnen in euch: lehret und vermahnt einander in aller Weisheit mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen Liedern und singet Gott dankbar in euren Herzen!

Besprecht das Wort Christi – damit euch das bestimmt – so können wir diese Mahnung verstehen. Was das heißt, will ich in drei Überlegungen ausführen: Wir besprechen die Zukunft, wenn wir das Wort Christi besprechen; wir besprechen, was gilt, wenn wir das Wort Christi besprechen; wir besprechen, was an der Zeit ist, wenn wir das Wort Christi besprechen.

 

1

Fangen wir damit an: Wir besprechen die Zukunft! Nun kann man zwar sagen, dass alle unsere Besprechungen die Zukunft besprechen. Zum Beispiel wird da besprochen, dass man die Maintalautobahn von Schweinfurt nach Bamberg bauen soll, damit das Gebiet dort besser erschlossen und entwickelt wird. Und dann wird besprochen und da kommen ja unsere berechtigten Ängste zu Wort – dass damit der Schwerlastverkehr angezogen und womöglich auf dem Frankenschnellweg durch Erlangen, Fürth und Nürnberg laufen wird – und diese Gefahr soll durch neue Besprechungen gebannt werden. Das ist auch Zukunft – aber hier, wo wir das Wort Christi besprechen, ist eine andere Zukunft gemeint: „Trachtet nach dem, was droben ist…“ so heißt es im Eingang unseres Kapitels. Das ist eine Zukunft, die nicht ängstigt. Wenn wir die besprechen, kann uns leichter werden! Und diese Zukunft soll ja nicht bloß in unsere Köpfe. Sie soll auch in unsere Herzen. Darum ist hier von den Liedern die Rede. Das weiß der Apostel, und erinnert uns an solche Erfahrung. Ein Lied, die Worte, der Rhytmus, die Melodie – das bleibt nicht im Kopf, das geht ins Herz, ist da, bei uns – und kann dann bestimmen; wenn wir es gemeinsam singen – oder vor uns hinsummen. Ich habe manche Ängste schon besprechen können durch diese Zukunft und die Lieder, die von ihr singen: Jerusalem, du hoch gebaute Stadt – oder: Valet will ich dir geben – oder: Ich bin ein Gast auf Erden. Vielleicht ist das ein Exorzismus – aber bei mir hat er schon manchesmal geholfen; und nicht nur bei mir. Was können wir als Seelsorger dann tun, wenn nicht dies: Diese Zukunft besprechen, indem wir das Wort Christi besprechen.

 

2

Wir besprechen, was gilt, wenn wir das Wort Christi besprechen. Ich bin selbst auch nicht ein für allemal heraus aus meinen Ängsten, weil ich ein paar Gesangbuchlieder singen kann, die mich trösten. Natürlich kann da der Gedanke auftauchen: bist du nicht auch bloß einer Wahnidee aufgesessen, wenn du deine Zukunftsängste mit diesem Wort Christi bannen willst? Nun, wenn dieser Gedanke kommt, lässt sich einiges erzählen. Ich erwähne das jetzt nur, habe nicht die Zeit, Geschichten auszubreiten. Aber auf die eine Geschichte muss ich da doch verweisen, wie wir sie in unserem Glaubensbekenntnis miteinander sprechen: Jesus Christus, geboren von der Jungfrau Maria, gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben, hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tage auferstanden von den Toten, aufgefahren gen Himmel! Das gilt. Wir sind ja bei all unseren Besprechungen der Zukunft darauf angewiesen, dass wir uns nicht in Hirngespinste verrennen und die werden dann womöglich durch unser Planen und Tun zu Tatsachen, die wir nicht mehr los werden – wie das Grab der Anneliese Michel in Klingenberg. Es gibt viel Schlimmeres (wenn ich an die Nazi-Lieder denke, die mir immer einmal hochkommen, weil ich die auch gelernt habe!) Nicht Hirngespinste, sondern die Realität sollen wir besprechen: Darum gilt diese Geschichte Jesu, und das Wort von Christus, das reichlich in uns wohnen soll. Und wieder können wir ja singen, dass diese Geschichte vom Kopf in unsere Herzen kommen kann: Christ ist erstanden, zum Beispiel, wie wir das vorhin getan haben.

 

3

Wir besprechen, was an der Zeit ist, wenn wir das Wort Christi besprechen. An der Zeit sind nicht die Ängste – and er Zeit ist die Liebe. Und wahrscheinlich bemerken wir das viel zu wenig, weil wir mit viel zu viel Besprechungen beschäftigt sind, die Zukunft gewinnen wollen, indem sie Ängste bannen. Aber was wir besprechen, das bestimmt uns ja. Das muss weg, was an Ängsten zwischen uns ist. Dann kann einer realistischer eingehen auf das, was an der Zeit ist. „So ziehet nun an als die Auserwählten Gottes, als die Heiligen und Geliebten,

herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut und Geduld: und ertrage einer den anderen und vergebt euch untereinander, wenn jemand Klage hat wider den anderen…“

Wir können auch das singen, z.B. so: Das sollt ihr, Jesu Jünger, nie vergessen… Aber gerade da geht ja unser Besprechen über in unser Tun und wird so gewisse Realität.

 

Was wir besprechen, das bestimmt uns. Gerade wenn wir das einmal wahrgenommen und begriffen haben, merken wir, wie wichtig die Besprechung am Sonntagmorgen um ½ 10 Uhr ist, zu der uns die Kirchenglocken einladen. Und wie wichtig es ist, dass diese Besprechung unter uns weitergeht, im Kopf und im Herzen. Denn nur was wir im Namen Jesu Christi tun, das trifft zu, das gilt, das ist im tiefsten Sinn realistisch – kein Hirngespinst (noch einmal: die Klingenberger Besprechung kann uns daran erinnern, welche Macht und welche bösen Folgen unser Besprechungen haben können), sondern zutreffend auf die Welt Gottes und nicht auf den Wahn, der uns alle so oft umnebelt. Was wir besprechen, das bestimmt uns. Gebe uns Christus, dass wir sein Wort besprechen miteinander und allein, im Kopf und im Herzen, mit Worten und mit Liedern.

Amen.

 

Herr, unser Gott,

Du hast uns deine Wahrheit eröffnet durch unsern Herrn Jesus Christus, der am Kreuz gestorben ist um unserer Schuld willen, den du auferweckt hast, damit wir deiner Macht vertrauen – du hast unsere Zukunft in Händen, auch wo wir nur Angst, Bosheit und Tod sehen können.

Wir bitten dich. Lass dein Wort unter uns Macht gewinnen, damit wir in seiner Wahrheit bleiben.

Wir bitten dich für diese Gemeinde hier und in aller Welt, dass sie dieses Wort recht aufnehme und mit ihren Worten und Werken Jesus Christus preise.

Wir bitten dich für die geängstigten Menschen, die miteinander ihren Wahn besprechen und so erst recht in seine Macht geraten, lass sie frei werden in Deiner Wahrheit, damit sie getrost leben können in der Liebe und sterben in der Hoffnung auf dich, Gott, unser Vater. Mach uns nach Geist und Herz neu. Amen.