12. August 1962 (8. Sonntag nach Trinitatis)    Wolfenhausen/Nellingsheim

 

237, 1-3 Dir, Dir Jehova         (54)

226, 1-5 0 gläubig Herz  (199)

226, 7.8

237,7 Dir, Dir Jehova          (54)

 

Matthäus 7, 15-23                  Römer 8, 12-17

 

Liebe Gemeinde!

 

Dass wir Schuldner sind, wie das der Apostel Paulus sagt, das werden wir schon zuzugeben bereit sein. Wir reden ja ganz gerne davon, dass wir unsere Pflicht und Schuldigkeit kennen, und würden uns, gewiss mit Recht, ereifern, wenn uns jemand vorwerfen würde, dass wir Lumpen seinen, die diese Pflicht und Schuldigkeit nicht tun. Ich sage: Dass wir Schuldner sind, dass wir in unserem Leben unsere Schuldigkeit zu erstatten haben, das werden wir alle zugeben. Aber es erscheint nun doch zum mindesten etwas seltsam, wenn diese Schuldigkeit beschrieben wird „nicht dem Fleisch, dass wir nach dem Fleisch leben.“

Was ist das für eine Schuldigkeit, die da zwischen uns trennt und zwischen dem, was der Apostel „Fleisch“ nennt?

Seht – so ganz einfach ist das nicht zu begreifen. Vielleicht liegt es daran, dass wir uns doch normalerweise lieber auf das zurückziehen, was unser Gewissen uns als unsere Pflicht und Schuldigkeit vorhält, und uns darum nicht allzu sehr kümmern um das, was Paulus meint, wenn er von Geist und Fleisch redet – obwohl wir`s kennen; denn ein bisschen etwas wissen wir ja schon von dem, was Sonntag für Sonntag gepredigt wird – und wenn wir nicht gar zu sehr dabei weghören, werden wir auch gemerkt haben, dass das doch noch etwas ganz anderes ist als einfach die Mahnung, jene Pflicht und Schuldigkeit zu tun.

Ich sage: So ganz einfach ist es nicht, das zu verstehen, was Paulus meint, weshalb wir uns häufig genug die Mühe sparen, es überhaupt verstehen zu wollen. Aber da geht es schon um einen Preis, um einen hohen Preis bei diesen Verstehen. „Denn wenn ihr nach dem Fleisch lebt, werdet ihr sterben müssen; wenn ihr aber durch den Geist des Fleisches Geschäfte tötet, so werdet ihr leben.“

Als ob wir nicht alle sterben müssten, alle ohne Ausnahme, die Frommen genauso wie die Ungerechten, die Bösen genauso wie die Guten.

Wohl: Auf eine Weise haben wir damit recht, wenn wir sagen, dass wir alle ohne Unterschied sterben müssen. Haben damit recht, wenn wir mit dem Sterben einfach den Vorgang bezeichnen, der das Ende unseres Lebens darstellt, das was die Mediziner Exitus nennen – es geht aus. Aber das meint der Apostel Paulus gar nicht, wenn er vom Sterben müssen redet. Vielmehr: Da geht es um die Furcht, und um all das, was aus dieser Furcht entspringt. Nun werden wir aber darauf angeredet, dass es mit der Furcht vorbei sei. „Denn ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, dass ihr euch abermals fürchten müsstet; sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch welchen wir rufen: Abba, lieber Vater!“

Seht – da können wir einen Anfang machen im Verstehen dessen, was der Apostel meint, wenn wir uns über diese Furcht Gedanken machen. Dass wäre das gewissen Anzeichen für jenen Gottesgeist, von welchem der Apostel Paulus redet, wenn es bei uns mit der Furcht aus wäre! Wir brauchen uns nicht zu fürchten – das ist jenes Leben, von welchem der Apostel Paulus redet. Und das Fürchten – das ist jenes Sterben – müssen, welches mitten in unser Leben hineinreicht, wenn wir die Geschäfte des Fleisches besorgen: Tun wir jetzt nicht so, als ob wir wüssten, was das ist, als ob es so einfach wäre, das nacheinander aufzuzählen, natürlich dabei mit dem guten Gewissen, von dem allem nicht betroffen zu sein. Geschäfte des Fleisches, als da sind: Fluchen, Saufen, Stehlen, Huren, Morden – das tun wir doch nicht. Wir kennen doch genau unsere Pflicht und Schuldigkeit als Menschen und als Christen und als Staatsbürger, und mühen uns, ihr nachzukommen.

Ich sage: So einfach ist es gerade nicht. Paulus sagt uns, da sollten wir Acht haben, wo die Furcht dabei sei. Da sollten wir Acht haben, dass wir nicht in jenes Gefälle hineingerissen werden, von dem er sagt: „Wenn ihr nach dem Fleisch lebt, so werden ihr sterben müssen.“ Wo die Furcht unser Handeln bestimmt, da ist es falsch!

Da ist es kein Leben, sondern ein Sterben müssen.

Das ist eigentlich eine ganz einfache Regel. Versuchen wir einmal, sie ein wenig anzuwenden auf uns, auf unser Tun. Wo die Furcht dieses Tun bestimmt, da ist es falsch! Wohl – es kann schon sein, dass wir diese Furcht nicht sogleich wahrnehmen. Aber wir werden es vermutlich rasch erkennen, wie sie überall zwischendrin sitzt, und das bestimmt, was wir tun. Die Furcht, die der Sendbote des Todes ist, sein Büttel, durch welchen er uns drangsalieren lässt.

Da ist die Furcht um Ehre, Ansehen, Geltung – wissen wir, wie viel von unserem Tun sie bestimmt? Wie viel wir bloß mitmachen, weil wir meinen, wir seien sonst nichts? Wie viel wir uns verstreiten, weil wir meinen, es ginge uns sonst etwas ab? Wie viel wir uns aufspielen, weil wir meinen, wir hätten etwas davon, wenn wir bei anderen möglichst viel gelten?

Da steckt Furcht dahinter: Geschäfte des Fleisches heißt Paulus das! Da steckt Furcht dahinter, ausgesprochen oder viel eher noch unausgesprochen, die Furcht, vergessen zu werden, die Furcht verlassen zu sein, die Furcht, es sei das alles, was wir sind, was einmal in den Sarg gelegt wird, und dann sei nichts mehr da. Darum spielen wir uns auf, darum wollen wir etwas gelten! Darum spielen wir uns auf, darum wollen wir etwas gelten!

Da ist die Furcht um Gesundheit und Kraft und Leben, die in unserem Leibe stecken. Wie viel tun wir, um uns diese Kraft zu bestätigen? Wie viel tun wir, weil wir fürchten, es ginge mit dieser Kraft zu Ende, und darum müssten wir genießen, so lange wir zu solchem Genuss noch fähig sind? Wie viel von unserem Schaffen ist nicht auch bestimmt von jener Furcht, es gehe einmal nicht mehr, und darum müsse es jetzt sein!

Da steckt Furcht dahinter: Geschäfte des Fleisches heißt Paulus das, was wir da treiben, gejagt von der Angst um die Vergänglichkeit unseres Lebens, seiner Kraft, zu arbeiten, seiner Fähigkeit zu genießen.

Da ist die Furcht um den Besitz, um die Sicherheit, um die Leistung unseres Lebens, die zeigen soll, was wir hinter uns gebracht haben. Die Furcht vor dem Sterben müssen, die uns dazu bringt, dass wir meinen, es müsse sich doch und womöglich sauber und unwiderleglich in paar schönen, runden Zahlen aufzeigen lassen, dass unser Leben nicht umsonst hingebracht wurde.

Da steckt Furcht dahinter! Geschäfte des Fleisches nennt das der Apostel Paulus. Und meint: „Wenn ihr nach dem Fleisch lebt, dann werdet ihr sterben müssen.“ Ihr vertut euer Leben, um hinwegzukommen über das Ende, welchem diesem Leben nun einmal unwiderruflich gesetzt ist. Das ist falsch!

Wir haben es nicht nötig! Wir haben es nicht nötig, uns von der Furcht bestimmen zu lassen. Haben es nicht nötig, uns von der Furcht treiben zu lassen. Haben es nicht nötig, ein Leben lang den vergeblichen Versuch zu unternehmen, dem Tod zu entfliehen!

Umgekehrt: Das wäre unsere Schuldigkeit, meint Paulus, dass wir das gelten lassen, was Gottes Geist uns sagt: Sein Geist gibt Zeugnis unserem Geist, dass wir Gottes Kinder sind! Dass wir uns nicht zu fürchten brauchen. Beispielsweise darum, ob wir etwas gelten.

Wir gelten schon etwas, wenn Gott unser Vater ist! Ob wir genug herausholen aus diesem Leib und Leben. Denn das, was wir da an Leib und Leben leiden, das bringt uns erst recht hin zu Gott, weil es uns Christus ähnlich macht! Dass wir etwas zustande bringen: Denn Gottes Erbe lässt sich durch nichts aufwiegen.

Amen