Vorletzter Sonntag im Kirchenjahr 15.11.1992 Büchenbach/Martin-Luther-Kirche
311,1-5 Herzlich
tut mich erfreuen
Intr 18
123,1-4 Wir warten
dein
320,1-3.6.7 Jerusalem
139 Verleih
uns Frieden
Röm 8,18-27 Mt
25,31-46
Unser Gott,
der du uns berufen hast zu einer lebendigen Hoffnung durch
die Auferweckung Jesu Christi von den Toten, hilf uns, dass wir der Angst und
Hoffnungslosigkeit widerstehen und den Sieg deinen Lebens bezeugen durch unsern
Herrn und Bruder ...
Du lebendiger Gott,
Lass deinen Glanz leuchten in deinen Geschöpfen und vollende
an uns, wozu du uns durch Jesus Christus berufen hast.
Wir bitten dich für deinen Gemeinde an diesem Ort und in der
ganzen Welt: Lass die Hoffnung nicht verschwinden, sondern gib uns Zeichen des
Glanzes, zu dem du uns berufen hast.
Wir bitten dich für die Völker und Staaten, für alle, die
Macht erleiden und Macht ausüben. Schaffe du dem Recht Raum. Wehre Hass und
Unterdrückung. Lass die verfeindeten Völker in Jugoslawien Frieden finden. Hilf
unserem Volk, dass wir in Freundlichkeit und Vertrauen mit den Menschen
zusammen leben, die als Gäste und Fremdlinge zu uns kommen und Hilfe suchen.
Gib allen Menschen, was sie brauchen, Brot und Arbeit,
Heimat und Anerkennung. Hilf allen deinen Geschöpfen, dass sie Abglanz deiner Herrlichkeit
werden.
Besuche die einsamen und Kranken, geleite die Sterbenden,
tröste die Trauernden.
Du bist unsere Hoffnung, verlass uns nicht. Amen.
Liebe Gemeinde,
die Hoffnung, von der Paulus hier redet, die geht aufs
Ganze. Nicht nur Hoffnung für diesen oder jenen Menschen, für ein paar, hier
und dort, für dich oder mich, die heraus geholt werden sollen aus dieser
Welt und in die himmlische Seeligkeit
entrückt werden sollen. Aufs Ganze geht diese Hoffnung, von der der Apostel
redet, denn nur so kann sie wirklich Bestand haben. Sicher, wir sind dabei.
Mehr: An uns soll die Herrlichkeit Gottes offenbar werden. Ich will jetzt
einmal statt Herrlichkeit lieber Glanz sagen, Klarheit, wie wir es im
Eingangslied gesungen haben: „All Kreatur soll werden, ganz herrlich schön und
klar!“ Gottes Abglanz soll an uns sichtbar werden: Darauf wartet die ganze
Schöpfung. Aufs Ganze geht die Hoffnung. Nur so kann sie wirklich Bestand
haben: Nicht ein paar Leute werden da heraus geholt, und dann kann die Welt
vollends zugrunde gehen. Nein, Gott, auf den sich die Hoffnung richtet, dieser
große und herrliche Gott, der will seinen Glanz strahlen sehen in der Fülle
dessen, was er geschaffen hat. Nicht nur uns ist das verheißen, dass wir ein
Abglanz der Herrlichkeit Gottes sein werden; „denn auch die Schöpfung wird frei
werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zum Glanz der Freiheit der
Kinder Gottes.“ So geht sie aufs Ganze, die Hoffnung.
Sie muss aufs Ganze gehen, wenn sie nicht in Resignation
ersticken will. In der Resignation, die als Kennzeichen allen Lebens das wahr
nimmt, was hier als die Knechtschaft er Vergänglichkeit beschrieben wird.
Natürlich nehmen wir das wahr, jede und jeder, sehen es täglich vor Augen und
spüren desto deutlicher an uns selbst, je älter wir werden: Wie alles Leben
auch vergeht. Die Blätter fallen von den Bäumen, die Tage werden kürzer, Nebel
legt sich über das Land. Und der Tod hält seine Ernte noch und noch, holt
dieses Leben, zeitig und unzeitig. Ich brauche das nicht weiter auszuführen,
dieses: “Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug
werden.“
Doch Paulus nimmt das alles miteinander zusammen in seiner
Hoffnung, die da aufs Ganze geht, und spricht von dem zukünftigen Glanz. Nicht
diese Knechtschaft der Vergänglichkeit ist es, in der alles Leben schließlich
ausgelöscht wird: Wie uns das scheinen mag, wenn wir sie vor ns sehen, diese
Vergänglichkeit, und sehen das Sterben, jetzt, wo der Herbst da ist und der
Winter naht, Blumen, Schmetterlinge sind verschwunden. Und auch wenn wir da
wieder auf den Frühling warten können – ist nicht allem Leben das
unwiderrufliche Ende gesetzt? Weil die Resignation so das Ganze in die
Nichtigkeit entgleiten sieht, darum geht die Hoffnung des Paulus aufs Ganze,
und holt die ganze Schöpfung mit herbei, die glänzen soll als Abglanz der
Herrlichkeit Gottes selbst. Das ist die Befreiung, auf die hin alles unterwegs
ist.
Freilich: Darf einer das dann so sagen, wie das Paulus hier
tut – kann und darf ich das so nach sagen? „Denn ich bin überzeugt, dass dieser
Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns
offenbart werden soll.“ Gut! Paulus weiß, wohin er unterwegs ist. Darum kann
ich es ihm zubilligen, dass er das, was ihm widerfahren ist, gering geachtet
hat angesichts der Hoffnung, für die er einstehen konnte mit seinem Evangelium
von Jesus Christus, der um unserer Sünden willen dahin gegeben und um unserer
Rechtfertigung willen auferweckt ist. Aber es ist doch nicht nur sein Leiden,
und vielleicht das anderer, die glauben und sich so in der Hoffnung ausstrecken
nach dem zukünftigen Glanz. Die Vergänglichkeit trifft das Ganze, und das
Leiden an der Vergänglichkeit ist doch allgemeines Leiden. „Denn wir wissen,
dass die ganze Schöpfung mit uns bis zu diesem Augenblick seufzt und sich
ängstet.“ Wir haben es doch alle schon wahr genommen, nicht nur an Menschen,
sondern vielleicht auch an diesem oder jenem Tier, dieses Seufzen, das uns die
Vergänglichkeit abnötigt, wenn wir den Atem lange und tief einziehen, und in einem
Seufzer kurz und rasch ausstoßen – und ich weiß ja, einmal wird da er letzte
Seufzer sein, und dann ist es mit mir zu Ende.
Dürfen wir um der Hoffnung willen das Leiden dieser Zeit
gering achten? Geht die Hoffnung aufs Ganze, müsste doch auch dieses ganze
Leiden zusammen genommen werden. Fällt das nicht ins Gewicht, Leiden, das wir
nennen können, und das ungemessene, namenlose Leiden. Muss da nicht jenes
Seufzen kommen, wie es der Profet Jeremia formuliert hat: „Ach, dass ich Wasser
genug hätte in meinem Haupte und meine Augen Tränenquellen wären, dass ich Tag
und Nacht beweinen könnte die Erschlagenen meines Volkes.“ Ach! Die
Vergänglichkeit und all die Kreaturen beweinen, die da glanzlos und unscheinbar
zugrunde gehen müssen. Vergesst es nicht! Da ist einer, der die Kreatur in die
Vergänglichkeit hinein gerissen hat, weil er sich von Gott abkehrte. Wir
Menschen, an denen Gottes Glanz offenbart werden soll, wir sind da gemeint,
wenn Paulus von dem redet, der die Schöpfung der Vergänglichkeit unterworfen
hat. Wir, wir seufzen mit, der Vergänglichkeit Unterworfene und der
Vergänglichkeit Unterwerfende in einem, Tötende und Sterbende.
„Ach!“ Da ist Seufzen. „Nicht allein sie“, wir haben das
Angeld des Geistes – so Paulus. Nicht eine geheimnisvolle Mächtigkeit ist da
gemeint, sondern ganz schlicht dies, wir können anders reden als die unter
ihrer Vergänglichkeit seufzende Kreatur. Denn wir wissen: Was da scheinbar
hinein verschlungen wird in die Nichtigkeit und in den Tod und ins Vergehen und
Vergessen, das soll leben als Abglanz Gottes. Paulus hat das so gesagt – unsere
geläufige Lutherübersetzung gibt das nicht genau wieder: „Wir wissen, dass die
ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt und in Wehen, in
Geburtswehen liegt.“ Wenn sie in Wehen liegt, die Schöpfung, dann muss sie ja
wohl guter Hoffnung sein! Wir wissen das, weil wir wissen: „Christ ist
erstanden ...“ Darum wissen wir mehr als die seufzende Schöpfung. Und können
darum wahr nehmen, was da jetzt schon an Glanz und Klarheit zum Vorschein
kommt. Das ist nicht das letzte Flackern des Abendrotes am Himmel, ehe dann die
Nacht kommt. Da kommt zum Vorschein, was die Schöpfung einmal sein wird:
Abglanz der Herrlichkeit Gottes, Leben aus seinem Leben. Der Glanz der Sonne,
die Luft, die voll ist vom Getriller der Lerchen, die Wärme, wenn ich ein Tier
streichle: Vorschein ist das.
Aufs Ganze geht die Hoffnung, von der Paulus hier redet. Nur
wenn sie aufs Ganze geht, kann sie der Resignation widersprechen, die auch uns
den Seufzer abpresst, weil wir doch sehen und hören und spüren, wie die
Vergänglichkeit herrschen will. „Auch wir selbst, die wir den Geist als
Erstlingsgabe haben, seufzen in uns selbst.“ Sicher, wir wissen es besser. Aber
können wir anders, als seufzen, wie die ganze Schöpfung? Da ist doch kein
Unterschied: Der Atem, tief hinein gezogen, und rasch und heftig ausgestoßen.
Richtig! Aber es ist dieser Seufzer, in dem die Hoffnung, die ganze Hoffnung,
vor Gott kommt. Sie muss wohl aufs Ganze gehen, meine Hoffnung, wenn sie der
Vergänglichkeit und dem Leid und dem Tod widersprechen soll. In so einem
Seufzen kann sie sich versammeln.