Reminiszere 14.3.1976
Weißenkirchberg
2.Kor 4,7-15
282,1-7 (Wenn
wir in höchsten Nöten)
100,5+8 (Jauchz,
Erd und Himmel)
Liebe Gemeinde,
wie bemerken wir, wo wir selbst in dieser Geschichte vor
kommen? Das ist eine sehr wichtige Frage, wenn wir wirklich verstehen wollen.
Wir könnten vielleicht sagen: zu dem armen Volk gehören wir, das da in harter
Arbeit und schlimmer Knechtschaft in Ägypten leben musste. Wir gehören zu
denen, die frei werden sollen. Ich denke, wenn wir dem genau nach gingen, dann
kämen wir wohl zu einem Verständnis – wenigstens ein Stück weit. Aber
vielleicht kommen wir anders noch ein Stück weiter.
Ich denke mir so: Mose hat geträumt, während er da so einsam
mit seinen Schafen über die Heide hin zog. Wir wissen, wie das ist, solches
Träumen. Da gehen die Gedanken weg von dem, was eben zu tun ist, und was vielleicht
nicht die ganze Aufmerksamkeit beansprucht. Sie gehen dem nach, was wir uns
wünschen, weil wir es gerne hätten, weil es unser Leben reich machte und schön.
Vielerlei Wünsche – vielerlei Träume, die jeder von uns hat – die Jungen vielleicht
mehr noch als die Alten. Aber wenn ein Mensch keinen Traum mehr hat, dem er
nach hängen kann, dann ist er praktisch schon tot. Wir haben alle unseren
Traum! Ich will noch eines dazu sagen: Es gehört zu diesem Traum dazu, dass
er nicht einfach weg führt von unserer Realität, so, wie die Träume, die uns
im Schlaf überfallen und uns in eine ganz andere Welt entführen – je nachdem
eine schreckliche oder eine freundliche Welt. Zu dem Traum, den wir träumen,
wenn wir wach sind, gehört doch auch ein wenig die Möglichkeit, dass er wirklich
werden kann. Warum, denkt ihr, füllen wohl Woche für Woche Millionen Menschen
ihren Tippzettel aus? Mit den 2 oder 5 Mark zahlen sie doch dafür, dass sie
wieder eine Woche lang träumen können, den Traum vom Glück, von dem großen
Gewinn, der all das Wirklichkeit werden lässt, was sonst bloß Traum bleiben
müsste.
Aber nun wollen wir wieder zurück zu Mose, zu unserer Geschichte. Ich sagte: Er wird geträumt haben, während er da mit den Schafen durch die Heide zog. Und es ist nicht schwer, seinen Traum zu erraten. Wir kennen doch seine Geschichte. Er war ja nicht immer Hirte gewesen. Er war in Ägypten bei Hofe aufgewachsen, vornehm, gebildet und reich, bis ihm die Not der Israeliten aufs Herz schlug, und er in einer zornigen Aufwallung den ägyptischen Aufseher umbrachte, der einen der gequälten Menschen noch extra schikanierte. Und damit dieser Totschlag nicht schließlich doch noch aufkam, musste er fliehen, und kam so in die unwirtliche Gegend am Sinai, der gerade noch für ein paar Hirten mit ihren Herden eine Lebensmöglichkeit bot. Sicher, über den Leichnam des Ägypters, den er damals eingescharrt hatte, war wohl schon längst Gras gewachsen. Aber das Elend der Menschen, denen er damals helfen wollte, war noch ebenso groß wie damals. Von ihnen wird er geträumt haben – sie zu befreien aus Knechtschaft und Elend, sie zu einem besseren, menschenwürdigeren Leben zu führen. Wie das wohl wäre – wenn er vor den großmächtigen König der Ägypter, den Pharao treten würde: Lass mein Volk in die Freiheit ziehen! Das, so denke ich mir, wird der Traum des Mose gewesen sein, der Wunsch, der ihn ganz ausfüllte, und der doch so fern und unerfüllbar schien.
Und dann ist ihm dies Unerwartete und Erstaunliche
zugestoßen, dass er Gott begegnete. Und der hieß ihn gehen: Mach’ ihn wahr,
deinen Traum. Geh zum Pharao, führ’ sie heraus aus Knechtschaft und Elend, die
Kinder Israels. Dem wollen wir nun weiter nachdenken, was das wohl heißen
könnte: Wo uns Gott so begegnet, und wo er so dabei ist, wie hier, da wird
unser Traum wahr!
1. Als erstes sollten wir dabei aber bedenken, was das für
ein Traum ist! Es genügt hier ja nicht, dass wir eben an irgendeinen Traum
denken – an einen Wunsch, der uns ausfüllt, die Sehnsucht, die uns weg führt
aus der Enge und Mühsal und Plage unseres Daseins. Der Traum, der wahr werden
kann, wo Gott dabei ist, das ist der Traum, den wir mit Gott träumen. Ich weiß
wohl, jeder von uns hat seine eigenen, seine bescheidenen, oder auch unbescheidenen
Träume und Sehnsüchte: Einmal bewundert werden für eine sportliche
Höchstleistung wie die Rosi Mittermaier; einmal reich sein und mächtig, wie der
Baron Fink oder der Fürst von Hohenlohe. Aber es könnte sein, dass wir gerade
nicht solche eigensüchtigen Träume träumen. Dass wir vom Frieden träumen (Traum
der Hoffnung) – zwischen den verfeindeten Völkern, z.B. zwischen den Deutschen
in der DDR und uns in der Bundesrepublik. Zwischen den Parteien in unserem
eigenen Land, die unser Volk in zwei Lager zu spalten drohen. Zwischen
Nachbarn, die doch aufeinander angewiesen wären, oder Verwandten, Eltern und Kindern,
Brüdern und Schwestern, die auseinander geraten sind und nicht mehr zusammen finden.
(Traum der Liebe). Dass wir von Hilfe träumen, Hilfe für die fernen Menschen in
irgend einem Land der Dritten Welt, in Angola oder Guatemala, in Bangla Desh
oder Kalkutta, oder in Chile. Oder von Hilfe für behinderte Kinder, oder
Kranke, die nichts mehr erwarten können als ein langsames dahin siechen, und
die gerade darum dankbar sind für jedes bisschen Glück, das ihnen ans
Krankenbett getragen wird. Es gibt auch solche Träume. Mose hat einen solchen
Traum geträumt – und weil er mit Gott in Gleichklang war, sollte dieser Traum
wahr werden. Haben wir einen solchen Traum – einen Traum der Hoffnung für die
hoffnungslosen Menschen? Einen Traum der Liebe für die Hilflosen? Einen Traum
des Glaubens für die Toren, die sagen: Es ist kein Gott – und vielleicht gerade
darum auf ein Zeugnis warten, das ihrer Torheit zu widersprechen wagt, damit
sei auch glauben und hoffen und lieben können?
Hier sehen wir: Der Traum wird wahr, der im Gleichklang mit
Gott ist. Haben wir einen solchen Traum? Vielleicht müssen wir nur die paar
Schritte weg von unserem alltäglichen Weg, die Mose machte, um die seltsame
Erscheinung des feurigen Busches näher an zu sehen – und schon haben wir diesen
Traum gefunden, der beglücken kann, weil er wahr wird.
2. Aber wie kann denn solche ein Traum wahr werden? Das ist
das Zweite, wonach wir nun fragen wollen. Es reicht ja nicht zu, den richtigen
Traum zu haben – damit dieser Traum wahr wird. Es bracht dazu den Anstoß, der
uns dessen gewiss macht: Gott ist dabei; und darum kann dein Traum wahr werden!
Gerade da ist es nötig, dass wir uns zeigen lassen, wer dieser Gott ist. Gewiss
– zunächst ist Mose erschrocken: Wer bin ich? Aber Gott hat diesen Widerstand
überwunden – ich werde mit dir sein, und also wird es gelingen. Das Gelingen
selbst sollte das Zeichen sein.
Aber haben wir denn das Gelingen in der Hand? Haben wir Gott
in der Hand? Mose, der zurück schreckte, dachte wohl so: Ein bisschen will ich
ihn in die Hand bekommen, diesen Gott, der mich da auf den Weg schickt. Was
soll ich sagen? Wie ist dein Name? Wenn man Gott kennt, dann kann man ihn vielleicht doch besser herbei bitten.
Kann ihn womöglich sogar für seinen eigenen Träume einspannen. Wenn Gott dabei
ist – dann wird mein Traum wahr – gerade weil das stimmt, kommt der Teufel in
unser Menschenherz, und dreht diese Wahrheit um, dass sie zur Verführung und
Lüge wird: Also sieh’ doch zu, dass du Gott dabei hast – dann hast du Glück.
Dazu brauchte man aber den Namen! So, wie die schöne Müllerstochter, die
Königin geworden war, den Namen des Kobolds kennen musste, der ihr geholfen
hatte, das Stroh zu Gold zu spinnen. Als sie ihm sagen konnte, du heißt
Rumpelstilzchen, da hatte sie gewonnen. So wollte Mose nun doch Gottes Namen in
die Hand bekommen – für die Israeliten, so sagte er. Aber doch auch für sich
selbst. (Man hat mit diesem Namen gezaubert – Zauberzettel, 2500 Jahre alt –
und vielleicht auch hier).
Darauf bekommt er die Antwort: Ich werde sein, werde dabei
sein. Nichts sonst. Aber das musste genügen. Damals. Und Mose hat es darauf hin
gewagt. Wir kennen seine Geschichte, seinen Kampf um das Gelingen. Und wissen,
wie es weiter geht. Wir wissen von David und Elia, von Jesaja und Jeremia, von
Daniel bei den Löwen und den Männern im Feuerofen. Reicht uns das nicht? Reicht
es uns nicht, diese wundersame Erscheinung zu sehen? Mose hatte den Busch – der
brannte und nicht verbrannte. Wir haben die Menschen – brennend in Gottes Geist
und doch nicht verzehrt. Dürres Holz, wie uns dieses Bild vom feurigen Busch
zeigt – irdene Gefäße, wie Paulus sagt. Und doch: Wo wir Gottes Traum mit
träumen – da wird er wahr.