5.4.1987
Schweinfurt
336,1-4 All Morgen
Intr.7
Hebr. 5,7-9
Mark 10,35-45
EG 249,1-5 Such, wer da will
Johannes
1, 1-5.14.16
Du unser Gott,
der du uns Menschen geschaffen hast, dich zu loben, und hast
uns erlöst durch deinen Sohn, Jesus Christus, unseren Bruder,
wir bitten dich,
gib uns deinen Geist, dass wir dich erkennen, und verleihe
uns, dass wir deine Gnade preisen, der du lebst und regierst von Ewigkeit zu
Ewigkeit.
Du Vater deines Sohnes
und unser aller Vater,
wir bitten dich um dein heilsames Wort. Segne deine Gemeinde
hier an diesem Ort und in aller Welt. Gib dein Evangelium in Mund und Herzen,
das die Menschen dich erkennen und ihnen geholfen wird.
Wir bitten dich um die Völker und Staaten. Gib du allen
Menschen ihr Recht und ihre Freiheit. Wehre der Unterdrückung und Gewalt.
Schaffe du Einsicht bei den Herrschenden, und hilf uns zum Frieden.
Wir bitten dich um deinen Segen für alle Arbeit. Gib du,
dass deine Gaben allen denen zuteil werden, die sie brauchen. Gib Arbeit und
Brot, Heimat und Anerkennung, und lass die Menschen leben und glücklich sein
vor dir.
Sei du mit allen Eheleuten. Segne Eltern und Kinder. Hilf
den Kranken. Geleite die Sterbenden. Tröste die Trauernden.
Herr, dein Wort ist unseres Fußes Leuchte und ein Licht auf
unserem Wege. Lass uns dies Wort leuchten jeden Tag, den du uns schenkst.
Amen
Liebe Gemeinde,
es war schön, heute früh aufzuwachen. Es war noch nicht ganz
Tag, und die Amsel hat gesungen. Und als ich dann das Fenster vollends
aufgemacht habe, hörte ich auch die Lerche. Es war schön, tief durchzuatmen,
die frische Luft zu schmecken – und mit ihr den Frühling, der nun endlich doch
gekommen ist. Es war schön, wahrzunehmen, wie lebendig diese Welt ist, und ich
in ihr. So kann einer das Leben fühlen, mit Augen und Ohren, mit der Nase, mit
der ganzen Haut es wahrnehmen, und sich freuen, dass er lebt! Das Leben
wahrnehmen – und es dem Schöpfer dieses Lebens verdanken: „Ich singe mit, wenn
alles singt, und lasse was dem Höchsten klingt aus meinem Herzen rinnen“: Das gehört
hier doch wohl mit dazu.
„All Morgen ist ganz frisch und neu des Herren Gnad und
große Treu – sie hat kein End den langen Tag, drauf jeder sich verlassen mag.“
Das gehört mit dazu: Das Leben fühlen, und es dem Schöpfer
dieses Lebens verdanken, das macht unser menschliches Leben aus. Das ist seine
Besonderheit. Von ihr redet der Evangelist Johannes im feierlichen Eingangsteil
seines Evangeliums. Selbst ist das ein Gedicht, ein Lied und Lobpreis Gottes.
Aber nun grade ein Lobpreis dafür, dass wir Menschen nicht stumm sind und
sprachlos. Sicher: Die Amsel hat ihre Stimme, und übt sie und singt ihre
Strophe, einmal und noch einmal und noch einmal. Erst zögernd und leise und
unsicher noch, nach Herbst und Winter, und dann immer kräftiger; und man kann es
hören, wie der Triller am Schluss der Strophe immer gekonnter und genauer
ausgearbeitet wird. Aber wem singt sie? Dem Weibchen im Nest, sicher, dass es
weiß: Er ist noch da, ich bin nicht verlassen. Und den Rivalen rings im
Umkreis, dass sie wissen: hier ist das Revier besetzt, sucht euch anderswo
einen Platz. Aber wir wissen, wohin wir uns wenden können. Das Wort,
menschliche Sprache, meine Freude, mein Dank, mein Gesang, der bleibt nicht für
sich, der versickert nicht im Weiten wie die Triller der Lerche und das Lied
der Amsel. Er kommt an.
So ist das hier gemeint, wenn es heißt: Am Anfang war das
Wort. Und das Wort war bei Gott. Bei Gott: Auf Gott hin gerichtet, und von ihn
angenommen und aufgenommen, so dass der Evangelist sogar sagen kann: Gott war
das Wort – gehört, angenommen: wie es in mir mitschwingt, wo ich einem anderen
Menschen wirklich zuhöre. Seine Worte, gehört und verstanden, werden zu meinen
Worten. Erinnern kann ich mich an sie, nachdenken und nachsprechen kann ich
sie, habe sie mir zu Eigen gemacht. So ist das mit Gott und dem Wort. Was ich
da gebetet und gesungen habe, was wir gebetet und gesungen haben – das ist
angekommen bei Gott selbst, und singt und klingt und schwingt in ihm weiter. So
will er es haben mit seinen Menschen, will er es haben mit seinen Geschöpfen,
dieser Schöpfer. Meine Worte, mein menschliches Singen, Beten, Loben, Danken
ist bei Gott: „All Morgen ist ganz frisch und neu des Herren Gnad und große
Treu!“
Alle Dinge sind durch dieses Wort gemacht, das bei Gott ist,
und ohne dasselbe ist nichts, das gemacht ist: Ausgesprochen ist, durch uns
Menschen, was da ist, die Herrlichkeit Gottes. Die Sonne – sicher, sie
leuchtete und wärmte, auch wenn da niemand sagen könnte, was der Sonnenpsalm
ausspricht: „Er hat der Sonn ein Zelt am Himmel gemacht; sie geht heraus wie
ein Bräutigam aus seiner Kammer und freut sich wie ein Held zu laufen ihre
Bahn. Sie geht auf an einen Ende des Himmels und läuft um bis wieder an sein
Ende, und nichts bleibt vor ihrer Glut verborgen“ (… 19,56-7). Aber so, gerade
so ist es Gottes Sonne, ist das Wort bei ihm, diese Worte. Ausgesprochen, ihren
verdankt, unser Wort, sein Wort bei ihm!
Doch da muss es nun weiter gehen mit meinen Gedanken, muss
dem folgen, was der Evangelist ausspricht: Es ist so, und ist richtig und gut,
was ich da gesagt habe, vom Menschen, und von seinem Wort, und davon, dass
dieses Wort bei Gott ist. Richtig und gut ist es so. Freilich ist da dann
gerade das mit zu hören: In ihm war das Leben - in diesem Wort. Unser
menschliches Leben, das Leben derer, die Gott geschaffen hat. So geschaffen,
dass sie es nicht bloß fühlen, dieses Leben. Sondern ihrem Wort, in Lob und
Dank und Bitte zu Gott bringen. Das zeichnet es aus, dieses menschliche Leben,
zeichnet es aus vor all dem anderen Leben, vor der Amsel und der Lerche, den
Krokussen und Schlüsselblumen, all dem was da jetzt im Frühling neu zum Leben
drängt. Licht ward das Leben durch dies Wort, kennt seinen Ursprung und sein
Ziel, weiß, woher es kommt und wozu es da ist:
In ihm, in diesem Wort, war das Leben, und das Leben war das
Licht der Menschen. Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis
hat`s nicht ergriffen.
Das gehört dazu: Dass das Wort nun doch nicht Mensch und
Gott verbindet. Dass da nicht Licht ist, durch das sich menschliches Leben Gott
verdankt. Dass da nicht beieinander ist, was zusammengehört: Menschliches Wort
und Gottes Wort. Müßig, zu fragen, warum das so ist. Es ist so. Wir kennen das.
Wir wissen, wie menschliches Leben da ist: Einer gegen den anderen, jeder sich
selbst behauptend, jeder sich selbst durchsetzend. Zäune trennen Gottes Welt,
Gartenzäune und Grenzen, hier und dort, mein und dein Eigentum Jeder besorgt
sein eignes Leben – wie wenn es für sich gelingen könnte. Und ist doch
Finsternis, ist doch nur Vergehen und Tod: Mein Leben - das eigene, wie lang
wird`s noch gehen? Und da ist schon der Tod, und seine Vorboten – die
Einsamkeit, die Erstarrung, nur noch Erinnerungen. Das, was sich nicht mehr
ändern lässt. Finsternis statt Licht: Was Vorzug des Menschen ist vor allen
Geschöpfen wird ihm nun zur Last – und da bleibt dann allenfalls so ein
trauriges, ein vergiftendes, ein resignierendes Verslein wie in dem Volkslied:
„In dem Wasser schwimmt ein Fischlein, das ist glücklicher als ich. Glücklich
ist, wer das vergisst, was nun einmal nicht zu ändern ist“ Die Amsel, und die
Lerche, und das Fischlein – die wissen es nicht. Und keiner von uns vermag es
zu ändern: Bloß vergessen können wir nicht, erinnern uns. Weil wir Sprache
haben, das Wort – darum können wir nicht vergessen.
Aber vielleicht ist auch das jetzt schon viel zu breit und
viel zu ausführlich gesagt. Vielleicht habe ich da schon viel zu viel von der
menschlichen Sprache und von dem Wort im Allgemeinen gesagt. Nicht, das ist ja
das Ziel dieses Liedes, eines Lob- und Dankliedes, das der Evangelist Johannes
an den Anfang seines Evangeliums gesetzt hat: Nicht als Wort, allgemein, ist
das Ziel und der Grund dieses Liedes. Da geht es um Jesus Christus. Einen Namen
hat dieses Wort, einen Menschennamen, und seine Geschichte, die da dann erzählt
wird: In einem Satz so: „Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns und wir
sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit, als des eingeborenen Sohnes vom
Vater, voller Gnade und Wahrheit. Und von seiner Fülle haben wir alle genommen
Gnade um Gnade“
Und in vielen Sätzen dann das ganze Evangelium durch. Und am
Schluss heißt es dann: Wenn alles aufgeschrieben würde, was von diesem Wort
Gottes, Jesus Christus, zu sagen ist, dann könnte die Welt die Bücher nicht fassen.
Darauf kommt es an: Dieses Wort, das Licht des menschlichen Lebens ist, das hat
einen Namen. Dieses Wort, aus dessen Fülle wir alle genommen haben, und nehmen,
das heißt Jesus Christus. Darum ist da nicht Finsternis und Tod, sondern Licht
und Leben.
Was ich eingangs genannt habe – den Choral, mit dem ich mein
Leben am Morgen Gott verdanken kann – den Sonnenpsalm: Wort ist das genommen
von seinem Wort, und deshalb Licht und Leben. Wir wissen, wie das ist, wenn
einer Rückschau hält. War es richtig, was du getan hast? Hast du den richtigen
Beruf gewählt, hast du die richtigen Kameraden gehabt? Es lässt sich nichts
mehr ändern. Ich denke, gerade weil wir das wissen, weil da so vieles fest
geworden ist, darum machen uns unsere Kinder solche Sorgen. Hat sie den
richtigen Partner, die Tochter? Hat er den richtigen Beruf gewählt, der Sohn?
Wird es ihnen glücken und gelingen, ihr Leben? Da ist doch noch Zukunft, da ist
noch so vieles offen, was bei uns längst entschieden ist. Es lässt sich nicht
mehr ändern. Es ist fest geworden. Und da kommt dann so vieles mit, das nicht
gut gewesen ist, Dummheiten, so redet sich einer ein, wie sie jeder macht. Und
die andern haben es doch gewiss auch nicht anders und besser gemacht. Verstehen
wollte sich einer – aber es kommt hoch, was gewesen ist, lässt sich nicht mehr
ändern. Wer kennt es nicht – dass so gelebtes Leben fest geworden ist und
starr? An den Gelähmten denke ich da, den sie zu Jesus gebracht haben – und als
sie nicht zur Tür herein konnten, haben sie das Dach aufgedeckt und haben ihn
von oben hereingelassen vor Jesus hin. Und der sagte: „Deine Sünden sind dir
vergeben. Was da gewesen ist und dich festhält, und dein Leben zur Last macht:
Ich nehme es dir ab.“ So ist er, so ist sein Wort. Wie wenn einer aufwacht am Morgen,
und lebt von neuem auf, und sieht das Licht, und atmet die Luft: So kann es
sein, Jesu Wort. Wie wenn einer auftaucht, aus dem Dunkel, aus der Kälte, der
Erstarrung, so ist das: dir sind deine Sünden vergeben. Du gehörst zur
Gemeinschaft der Lebenden - “Steh auf, nimm dein Bett und geh heim“ – so hat er
zu dem Gelähmten gesagt. Es hat einen Namen, dies Wort, das Licht und Leben ist
und Licht und Leben schenkt. Und wir können von ihm nehmen– Gnade um Gnade.
Wer kennt nicht die Sorge einer durchwachten Nacht? Wenn
nichts mehr weitergehen will, wenn das Leben eng wird: Wird er gesund werden,
der Ehepartner? Wird es so kommen, wie wir`s uns ausgedacht haben? Und gerade
dort, wo wir gar nichts tun können, da hängen sie sich fest, die Sorgen. Ich
brauche das jetzt nicht aufzuführen: Das fängt im Großen an – ob der Friede so
sicher ist, wie wir das gern hätten, und ob wir der Technik trauen können. Was
tun, wenn sie doch kommt, die Katastrophe? Und es geht weiter, dieses Sorgen,
kreist um das eigene Leben und die Menschen, die wichtig sind in diesem Leben
und für dieses Leben. Werden wir beieinander bleiben? Da ist dies Wort, stellt
uns hinein in die Fülle des Lebens – und weist uns auf den, der der Ursprung
dieses Lebens ist, der Schöpfer, der erhält, was er geschaffen hat: „Sorgt
nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren
Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung, und
der Leib mehr als die Kleidung? Seht die Vögel unter dem Himmel an: Sie säen nicht,
sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater
ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr als sie? Und warum sorgt ihr
euch um die Kleidung? Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen: sie
arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. Ich sage euch, dass auch Salomo in
aller seine Herrlichkeit nicht gekleidet war, wie deren eine. Wenn nun Gott das
Gras auf dem Feld so kleidete, das doch heut steht und morgen in den Ofen
geworfen wird: sollte er das nicht viel mehr für euch tun, ihr Kleingläubigen?“
Da nimmt er uns herein in die Fülle des Lebens, er, dies Wort: Die Amsel und
die Lerche gehören dazu, die Krokusse und die Schlüsselblumen und
Schneeglöckchen – sieh es an: Von Gott kommt dies Leben.
Wie sollte er dann dich vergessen? Wie, wenn einer aufwacht,
und tief durchatmet, wie, wenn einer auftaucht aus Dunkel und Kälte und
Erstarrung: So ist dies Wort, aus dessen Fülle wir nehmen.
Und wo uns die Macht des Todes zu überwältigen droht, und
seine Vorboten sich zeigen: Wie soll es mit wir werden? Wir gehen auf
Karfreitag zu und auf Ostern – und wissen doch wohl: Dies Wort, Jesu Christus,
der eine und einzige, er ist dabei, vorweg gegangen. Leben und Licht ist er,
unser Licht, unser Leben – Wort, durch das alles gemacht ist. Und darum bringt
er uns zum Ziel: „Ich hang und bleib auch hangen an Christo als ein Glied. Wo
mein Haupt durch ist gangen da nimmt er mich auch mit. Er reiset durch den Tod,
durch Welt, durch Sünd, durch Not. Er reiset durch die Höll, ich bin stets sein
Gesell.“
Jawohl! Es hat einen Namen, Gottlob, dies Wort. Wir kennen
es, dies Wort. Wir wissen: In ihm ist das Leben, und das Leben ist das Licht
der Menschen. Nicht nur fühlen kann ich mein Leben, wie es die Amsel fühlen
mag, wenn sie ihr Leid singt. Die Lerche, wenn sie sich trillernd in den Himmel
schwingt. Ich weiß, woher dies Leben kommt, und wo sein Ziel ist. Gott kann ich
es verdanken und weiß: Mein Leben ist geborgen in der Fülle seines Lebens. Und
wo mich Angst, Sorge, Schuld trennen wollen von diesem Leben – da bin ich erst
recht geborgen, weil mir da Wort gesagt ist, Gottes Wort, mein Wort. Weil ich
mir dies Wort sagen kann – Gottlob. So sind wir Menschen – Gottes Geschöpfe.
Das ist unser Vorzug, dies Wort, dies Wort, das einen Namen hat: Jesus -.
Gepriesen sei Gott für dies Wort, in dem er uns hilft, uns aus seinem Reichtum
gibt, Gnade um Gnade.
(Amen)