21. Sonntag nach Trinitatis 14.10.1951 Th. d. Kaltental
94, 1-4 Herr Jesu Christ
1,1-4 Allein Gott in der Höh’
299,3 gib mir durch dein Barmherzigkeit
299,4 Ehr sei Gott…
Schriftlesung: Epheser 6, 10-20
Johannes
4, 43-54 (1. Jahrgang)
Liebe Gemeinde!
Unser Evangelium berichtet uns von einem Mann, der also
Jesus begegnet ist. Dieser Mann ist Beamter des Herodes Antipas, also sicher
ein Mann, der etwas gilt, ein vornehmer und bedeutender Mann, ein Mann von
Reichtum und Ansehen. Aber im Grunde erfahren wir von diesem Mann doch gar
nichts, nicht seine Stellung, die er bei Hofe einnahm, nicht seinen Rang, ja
nicht einmal seinen Namen. Wir erfahren von ihm nur das eine, was nun
allerdings für sein Leben die letzte Entscheidung bedeutete: Johannes erzählt uns,
wie dieser Mann Jesus begegnete, und wie er von Jesus zum Glauben geführt
wurde. Auf diesen Glauben kommt es unserem Evangelium an. Am Beispiel dieses
Mannes will es uns zeigen, was echter Glaube ist und zugleich will es uns zu
solchem echten Glauben aufrufen. (Einschub: und das ist nun wirklich so
wichtig, dass es sich lohnt, einen Sonntagvormittag und noch viel mehr darauf
zu blicken) Lasst euch diese Aufforderung recht zu Herzen gehen, denn an ihr
fällt die Entscheidung über unser Leben!
Dreierlei Glaube begegnet uns in unserem Text.
Prüfen wir uns ernstlich, welcher Art unser Glaube sei!
1.
Das eine ist ein Glaube, der diesen hohen Namen eigentlich
gar nicht verdient. Es ist der Glaube der Galiläer, die von Jesus gehört haben,
als sie in Jerusalem droben waren, um das Fest zu feiern. Da war viel von
diesem Jesus die Rede; vielleicht haben sie ihn selbst einmal gesehen, wie er
einen Kranken heilte, oder sie hörten ihn zum Volk predigen, oder sie waren
dabei, als er eines seiner häufigen Streitgespräche mit den Pharisäern führte.
Und als er nun zurückkommt in seine Heimat – er ist ja selbst ein Galiläer – da
nimmt man ihn auf. Es kann auf jeden Fall nichts schaden, wenn man sich in
seiner Nähe hält. Man will es nicht von vornherein verderben mit diesem seltsamen
Mann, der von sich sagt, er sei Gottes Sohn. Denn vielleicht ist doch etwas
dran an diesem Anspruch. Auch der königliche Beamte gehört zu diesen Galiläern,
die Jesus unter sich aufnehmen, die sich`s gefallen lassen, dass er in ihrem
Gebiet hin- und herzieht und zu ihnen redet.
Liebe Gemeinde! Dieser Glaube, der eigentlich nur eine
wohlwollende Neutralität ist, Jesus gegenüber, solange der uns im übrigen
ungeschoren lässt, solange er nichts von uns will, sondern sich still und
freundlich im Hintergrund hält, bis man ihn vielleicht einmal braucht: Dieser
Glaube ist nicht mit den galiläischen Zeitgenossen Jesu ausgestorben. Dieser
Glaube ist vielmehr sehr lebendig geblieben, so lebendig, wie er das eigentlich
gar nicht verdient hätte. Er ist heute bei uns in Stuttgart und Kaltental
genauso lebendig, wie er es damals in Galiläa war.
Und er hat sich in seinem Wesen kein bisschen verändert. Ich
will diesen Glauben der Kürze halber den Sonntagsglauben nennen, denn allein am
Sonntag, oder vielleicht noch bei einer Beerdigung, oder einer Hochzeit, tritt
dieser Glaube in Erscheinung. Dieser Sonntagglaube ist, wie ich schon sagte,
ein Glaube, der sich nicht entscheiden will, ein Glaube der wohlwollenden
Neutralität. Es ist ein Glaube, der von Jesus Christus weiß, der von ihm
gehört, hat. Wir alle sind solche Menschen, die vielfach von Jesu Christus
gehört haben. Daheim im Elternhaus, in der Schule, im Religions- und
Konfirmandenunterricht, und immer wieder im sonntäglichen Gottesdienst. Wir
wissen, dass dieser Jesu Christus von sich gesagt hat, er sei Gottes Sohn, er
sei König und Herr der Welt, er sei der Richter, vor dem wir alle einmal stehen
werden! Wir haben es uns sagen lassen, dass dieser Jesus Christus unser Helfer
und Heiland ist, wir haben die Berichte der Evangelien gehört, die uns von
seinem Wirken, von seinem Tod und von seiner Auferstehung erzählen. Aber haben
wir auch gemerkt, dass dieser Herr von den Seinen wirklich etwas will? Dass er
nicht nur in der Kirche da ist, in den vier Wänden des Gotteshauses? Dass wir
am Sonntag nicht nur deshalb in die Kirche gehen, weil das nun einmal zum
Sonntag gehört, sondern, dass uns Gottes Wort etwas für unser ganzes Leben zu
sagen hat? Dass unser Leben anders aussehen muss, wenn wir seinen Namen tragen,
als dies Leben der vielen, die von ihm nichts wissen wollen?
Sonntagsglaube - wohlwollende Neutralität; das heißt: Wir
wissen um Jesus, um seinen Anspruch, und wir lassen ihn gerne gelten; wir
lassen uns auch den Dienst des Pfarrers gerne gefallen, am Sonntag auf der
Kanzel, und bei den besonderen Anlässen unseres Lebens, bei Geburt, Hochzeit
und Tod. Aber: Jesus soll mir ja nicht gar zu nahe treten. Dieses Aber
gehört mit zu dem, was ich unter Sonntagsglauben verstehe. Denn das merken wir:
Mit wohlwollender Neutralität kommen wir Jesus gegenüber doch nicht so einfach
durch. Jesus Christus hat oft eine so unangenehme Art, einem persönlich nahe zu
treten, wenn man sich mit ihm, mit seinem Wort, einlässt. Er will sich nicht
damit begnügen, dass er nur in den Kirchenmauern der Herr genannt wird. Und im
Geschäftsleben, oder in unserem Hause unter den verschiedenen Mietsparteien,
oder in der Familie, da gelten doch andere Gesetze als die, die am Sonntag auf
der Kanzel gepredigt werden. Da regiert nicht die Liebe, sondern das Geld, und
der eigene Vorteil, und der eigene Wille, dem sich die anderen unterzuordnen
haben. Neutralität - Sonntagsglaube, das bedeutet auch, dass man diesen Herrn
Jesus Christus den man im Übrigen durchaus gelten lässt, möglichst nicht zu
nahe kommen will. Der Sonntagglaube ist eine Rückversicherung. Jesus Christus
ist schon recht, falls man ihn einmal braucht, aber vorerst soll er dort
bleiben, wo er hingehört, am Sonntagvormittag in der Kirche.
2.
Und wenn man Jesus Christus dann einmal wirklich braucht:
Ja, dann wird aus dem Sonntagglauben der Wunderglaube. Nun, da der Sohn, das
heißgeliebte Kind, krank, todkrank geworden ist, da erinnert sich der Mann
unseres Evangeliums an Jesus. Freilich, der muss helfen, denn er hat ja schon
öfters gezeigt, dass er helfen kann. Nun kommt er zu Jesus und bittet ihn,
obwohl er sich vorher um ihn sicher auch nicht mehr gekümmert hat als seine
Landsleute.
„Not lehrt Beten“, so sagt das Sprichwort. Aber ob wohl
dieser Wunderglaube das Richtige ist, der sich an Jesus klammert, nun, da alle
andere Hilfe versagt hat? Der Glaube, der zu Jesus nur dann kommt, wenn er von
ihm etwas will? Wir spüren: Es ist sicher richtig, wenn dieser Mann in seiner
Not zu Jesus kommt. Denn allein dort kann er ja Hilfe finden. Aber wir merken
auch das andere: Es ist nicht richtig, wenn uns nur solche Not zu Jesus treibt.
Wenn wir nur dann zu ihm kommen, wenn wir selber nicht mehr aus und ein wissen
und glauben, dass uns nur ein Wunder helfen kann; wenn wir nur da beten, wo uns
jeder andere Ausweg versperrt ist. Jesus hat es dem königlichen Beamten sehr
deutlich gezeigt, dass sein Glaube noch nicht der rechte Glaube ist. Er muss
sich eine sehr schroffe Zurechtweisung gefallen lassen: Wenn ihr nicht Zeichen
und Wunder seht, so glaubt ihr nicht. Jesus denkt nicht daran, gleich mit ihm
zu gehen, seinen Sohn zu heilen, uns sich dadurch einen einflussreichen Gönner
am königlichen Hof zu verschaffen. Der Wunderglaube, der von Jesus dann Hilfe
erwartet, wenn die Not am größten ist und wir keine anderen Ausweg sehen, das
ist nicht der richtige Glaube, auf den es ankommt in unserem Leben. So sagt uns
Jesus hier es sehr deutlich. Das soll uns nicht davon abhalten, zu beten, wenn
wir in Not sind. Es soll uns aber davor bewahren, dass wir meinten, wir könnten
nun mit unserem Gebet doch noch unseren eigenen Willen durchsetzen. Dass wir
meinen, Gott lasse sich als sein übernatürliches Werkzeug zur Erfüllung unserer
Wünsche gebrauchen, wenn alle irdischen Mittel, Geld, und Geschicklichkeit und
Klugheit, nicht mehr zureichen.
Ist unser Glaube ein solcher Wunderglaube? Das wollen wir
uns heute von unserm Text fragen lassen. Ist unser Gebet nur ein Mittel unter
vielen anderen, um unsere eigenen Zwecke zu erreichen? Müssen auch wir uns den
Vorwurf gefallen lassen: Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, so glaubt ihr
nicht?
3.
Ja, aber damit ist nun unsere Geschichte noch nicht zu Ende.
Der königliche Beamte lässt sich durch Jesu schroffe Antwort nicht abweisen. Er
bittet noch einmal, noch dringlicher: Herr komm hinab, ehe denn mein Kind
stirbt. Vielleicht lässt sich Jesus doch erweichen. Und nun tut Jesus etwas,
was er nicht erwartet hatte. Weder weist er ihn nun endgültig ab, noch aber
geht er doch mit ihm, um dem Kind zu helfen. Sondern er gibt diesem verzweifelten
Vater einen Befehl - gehe hin, und er verheißt ihm zugleich: Dein Sohn lebt.
Hat Jesus nun doch nachgegeben, und ihn das Wunder, das er erbeten hatte, sehen
lassen? Nein – denn er sieht es ja noch nicht – und glaubt trotzdem dem Worte
Jesu. Er könnte ja auch denken, dass Jesus ihn nur loswerden wolle, um wieder
seine Ruhe zu haben und nicht durch das dauernde Bitten beunruhigt zu werden.
Er könnte ja mit Recht zweifeln an Jesu Wort – dann das hatte es bisher noch
nicht gegeben, dass Jesus seine Kraft über solche Entfernung, wie von Kana nach
Kapernaun - das sind immerhin etwa 30 km - wirksam werden ließ. Wir hören
nichts von solchen Misstrauen, von solchem Zweifel an Jesu Wort. Nein, ganz
schlicht heißt es: Der Mensch glaubte dem Wort, das Jesus zu ihm sagte, und
ging hin. Es muss etwas geschehen sein mit diesem Menschen, als er Jesus
gegenüberstand. Was es war? Er hat zum Glauben gefunden. Nicht zu einem
neutralen Sonntagsglauben, der eben für wahr hält, was ihm von Jesus Christus
berichtet wird. Auch nicht zu einem Wunderglauben, der in der Not nach einem
letzten, übernatürlichen Hilfsmittel greift. Er fand zum echten Glauben, zum
Christusglauben. Was ist das für ein Glaube? Ein Dreifaches erfahren wir über
diesen Glauben in unserem heutigen Evangelium: Es ist ein Glaube, der nicht
sieht, und Jesu Wort trotzdem vertraut, und es ist Glaube, der dem Wort des
Herrn gehorcht, und es ist ein Glaube, der nun tatsächlich das Wunder erlebt.
Es ist ein Glaube, der nicht sieht. Das ist das erste Kennzeichen. Dieser rechte
Christusglaube hat nur eines, an das er sich halten kann: Das Wort des Herrn.
Und in dem Wort hält er sich an den Herrn selber, an den, der das Wort
gesprochen hat. Dieser Glaube ist ein unvermittelter Glaube an Jesus den Herrn
der Welt, so wie es die Samariter zu dem Weib am Brunnen gesagt haben: Wir
glauben nun hinfort nicht um deiner Rede willen; wir haben selber gehört und
erkannt, dass dieser ist wahrlich Christus, der Welt Heiland. Wie es zu diesem
Glauben, zu diesem festen Vertrauen, das nicht sieht, und doch sich ohne
Zweifel und Schwanken fest an das Wort des Herrn hält, kommt, das können wir
nicht sagen. Das muss Geheimnis des göttlichen Wirkens bleiben. Aber dass es
diesen Glauben gibt, das können wir bezeugen, durch unser Wort und durch unsere
Tat.
Denn das ist ja das zweite Kennzeichen dieses
Christusglaubens: Er gehorcht dem Wort des Herrn. Der Mann in unserem
Evangelium macht sich auf Jesu Wort hin auf den Weg. Er geht getroster
Zuversicht. Obwohl ja am Ziel seines Weges, in Kapernaun, nach menschlichem
Ermessen, ein toter Sohn ihn erwartet. Und er weiß doch genau, dass das Kind
nicht tot ist, sondern dass sein Sohn lebt. Weil der Herr es gesagt hat. Nehmen
wir uns diesen Mann zum Beispiel, der da auf das Wort Jesu hin unterwegs ist, in
einfachem Gehorsam. Beugen wir uns unter dem Willen Jesu, gehorchen wir seinem
Wort, bitten wir ihn darum, dass wir seinen Willen erkennen und tun.
Dann werden wir auch das Dritte erfahren, das diesen
Christusglauben kennzeichnet: Es ist ein Glaube, der das Wunder erlebt. Der
Mann im Evangelium geht ja nicht ins Blaue hinein, sondern Jesu hat ihm das
Ziel genannt: Das Krankenbett seines Sohnes. Dort wird er erfahren, dass Jesu
Verheißung wirklich wahr ist. Unser Glaube, unser Christusglaube hat wirklich ein
Ziel, auf das er zugehen kann. Er wird das Wunder wirklich erfahren, das
Wunder, dass Jesu der Herr ist über Krankheit und Tod, Sünde und Hölle und
Teufel. Er wird es immer neu erfahren, schon solange wir noch unterwegs sind im
Gehorsam auf des Herrn Wort hin, und er wird es endlich schauen dürfen, wenn
Christus seine Herrlichkeit aller Welt offenbaren wird.
Vom Glauben hat uns unser Evangelium geredet, von falschem
Glauben, dem Sonntags- und dem Wunderglauben, und vom rechten Glauben, vom
Christusglauben, der dem Wort des Herrn traut, ihm gehorcht, und der seine
Wunder sieht. Lasst uns den allmächtigen Herrn bitten, dass er uns seinen
solchen Glauben schenke!
Amen