Neujahr 1954 Geimsheim
163,1-7 Nun lasst
uns gehen und treten
164,1-3 Jesus soll
die Losung sein
376,2 Wie
schön leuchtet
163,14+15
Jesaja 40, 25-31
Johannes
6, 35
Liebe Gemeinde!
Wir haben uns heute Morgen versammelt, um miteinander unter
Gebet und Singen ins neue Jahr hineinzugehen. Wir wollen uns von Gottes Wort
Weisung geben lassen für dies Jahr, das vor uns liegt- wie ein unbeschriebenes
Blatt. Was wir es uns bringen, dieses neue Jahr 1954? Was erwarten wir von ihm,
von diesem Jahr 1954?
Nun – ganz allgemein gesagt: Wir hoffen, dass es sich leben
lässt in diesem Jahr. Das wird für jeden von uns anders aussehen, dies, dass es
sich leben lässt. Wir erwarten von diesem Jahr, dass die Berliner Konferenz
zustande kommt, dass die vier Großmächte sich einig werden, dass die politische
Lage sich entspannt, dass wir der Wiedervereinigung unseres Vaterlandes, dass
wir dem ersehnten Frieden um einige Schritte näher kommen. Wir erwarten von
diesem Jahr 1954, dass der wirtschaftliche Aufschwung weitergeht, dass das
Geschäft aufblüht, dass der Verdienst steigt und die Preise fallen. Wir
erwarten, dass die längst fällige Erhöhung der Renten endlich eintritt.
Vielleicht erwarten wir im Stillen noch mehr von diesem Jahr als solch einen
äußerlichen Aufschwung. Erwarten, dass in diesem Jahr doch endlich der
Vermisste zurückkommt, erwarten, dass dies Jahr, das wir mit so guten Vorsätzen
beginnen, doch endlich den ersehnten Frieden im Haus bringen wird, erwarten
vielleicht auch, dass dies Jahr uns endlich den Sieg bringen wird über den
Fehler, unter dem wir selber und die mit uns leben, so sehr leiden, den Sieg
über den Jähzorn, oder die Schwätzerei oder die Lüge, - wir wissen`s ja alle,
was wir uns jedes vorgenommen haben: In diesem Jahr, da muss es endlich anders
werden! Wir erwarten vielleicht auch dies, dass sich unser Schicksal plötzlich
wendet, das heute graue Einerlei unserer Tage, das oft so freudlos und leer
ist, dass es sich wendet durch einen Gewinn im Lotto, oder eine Erbschaft oder
überhaupt!
Ja, was erwarten wir nicht alles von diesem 1954! Und dabei
wissen wir genau: Dies Jahr wird bestimmt schlechter werden, als wir erhoffen,
aber wird wohl sicher auch nicht so schlimm sein, wir es manchmal befürchten,
wenn der Himmel über uns grau ist und die Gedanken düster und trübe. Wir sind
ja alle mit der Zeit Leute geworden, die sich im Leben so halbwegs auskennen,
die abschätzen können, was ihnen dies Leben wohl noch zu bieten hat, die
wissen, wo sie ihre Wünsche und Hoffungen zurückstecken müssen. Hauptsache: Das
es sich auch in diesem Jahr 1954, das wir heute begonnen haben, leben lässt!
Doch wir sind ja nicht hierher gekommen ins Gotteshaus, um allgemeine
Betrachtungen über das kommende Jahr anzustellen; die findet ihr besser in der
Zeitung. Sondern wir sind doch hierher gekommen, um auf Gottes Wort zu hören,
auf die Losung, die über diesem Jahre 1954 stehen soll. Was sagt sie uns?
Nichts anderes als das, was unser aller Wunsch ist: Ihr sollt leben! Jawohl,
liebe Freunde! Das sagt der Herr zu uns, das soll über unser aller Jahr 1954
stehen: Ihr sollt leben!
1)
Doch wie kann das jetzt wahr werden, dieses: Ihr sollt
leben? Wenn du zu einem Menschen, der am Verhungern ist, sagst: Du sollt leben,
dann ist ihm damit gar nicht geholfen. Du würdest ihm gescheiter ein Stück Brot
geben. Wenn du zu einem Menschen, der schwerkrank in seinem Bett liegt, sagt:
Du sollst leben! Dann ist ihm damit nicht gedient. Du würdest ihm gescheiter
für einen guten Arzt sorgen und dafür, dass er die Arznei bekommt, die ihn
wirklich helfen kann. Das Wort, liebe Freunde, das Gott zu unserem Jahr 1954
spricht: Dieses: Ihr sollt leben! Ist kein leeres Wort, das uns dann doch wider
alleinlassen würde.
Dass uns doch bloß auf unsere eigenen Anstrengungen
verweisen würde, damit wir doch aus eigener Kraft wenigstens etwas vom Leben
haben.
Nein! Wenn Gott zu uns sagt: Ihr sollt leben, dann zeigt er
uns zugleich, wie wir wirklich zu diesem Leben kommen können: Ich bin das Brot
des Lebens!
An unseren Herrn Jesus Christus sind wir gewiesen, wenn sich
der Hunger nach dem Leben in uns regt. Dort findet unser Lebenswille seine
wahre Befriedigung!
Aber – stimmt das denn? Können wir dort das Leben finden?
Kann er uns Sicherheit geben gegen das, was unser Leben bedroht?
Zum Beispiel die Garantie, dass der Russe nicht kommt, dass
der Atomkrieg nicht ausbricht, dass die Katastrophe eines dritten Weltkrieges
nicht über uns hereinbricht?
Wenn wir davor Angst haben, ist es da nicht besser, auf die
Berliner Viermächtekonferenz und ihren günstigen Ausgang zu hoffen? Aber da
steht Jesu Wort: Die Überwindung eurer Angst – bin ich.
Oder – da ist Not und Sorge im Hause, denn die schmale Rente
will nirgends zulangen. Was kann da Jesus helfen? Sollte man nicht besser alle
Hebel in Bewegung setzten, um beim Sozialamt oder bei der Invalidenversicherung
doch noch ein paar Mark mehr herauszuschlagen? Aber da steht Jesu Wort: Euer
Helfer in der Not – bin ich.
Überhaupt: Wir wollen doch auf alle Fälle etwas vom Leben
haben! Ist es da nicht am allerwichtigsten, dass wir dafür sorgen, dass das
Kleingeld nie ausgeht, dann können wir schon selber zusehen, wie wir unser
Leben möglichst angenehm ausgestalten.
Aber da steht Jesu Wort: Den wahren Lebensgenuss findet ihr
alleine bei mir.
Ja, können wir ihn denn wirklich brauchen in unserem Leben,
diesen Jesus, zumal wenn wir noch jung sind – steht er uns nicht mit seinen
Geboten und Verboten überall im Wege, wo wir unserer Lebensfreude einmal
richtig die Zügel schießen lassen wollen.
Ihr kennt ja wohl den Spruch, der unter uns umgeht: Oi
Freud` muss d’r Mensch han, und wenn`r koi Froid hot, mueß´r a Mensch han!
Und da soll Jesus am besten weit weg bleiben. Aber da steht
er mit seinem Worte: Die wahre Freude bin ich!
Und was soll Jesus denn dort, wo wir uns zerstreuen und
erholen wollen, im Wirtshaus, auf dem Sportplatz, im Kino? Jawohl, liebe
Freunde! Wir wollen etwas vom Leben haben. Aber sehen wir gut zu, dass wir
dieses Leben nicht am falschen Ende anpacken; denn unser sogenanntes Leben ist,
wenn wir auf das hören, was uns Gottes Wort dazu sagt, in Wirklichkeit gar kein
Leben, sondern ein sicheres Sterben und Verderben!
Wehe uns, wenn wir uns darüber hinweg täuschen, solange es
uns so halbwegs gut geht. Dann werden wir es einmal erfahren müssen, dass wir
plötzlich mit leeren Händen dastehen! Suchen wir es doch lieber zu erlangen,
das rechte, wahre, dauernde Leben, das uns Gott verspricht!
Ihr sollt leben! Jawohl, Gott ist kein Lebensfeind! Doch
sollten wir jetzt das Lebensmittel zurückstoßen, das er uns anbietet:
Jesus Christus, den, der zu uns spricht: Ich bin das Brot des Lebens. Ich bin
die Überwindung eurer Angst, ich bin euer Helfer in der Not, bei mir findet ihr
den wahren Lebensgenuss, ich allein kann echte Freude bringen.
Liebe Freunde! Über unserem Jahr 1954 soll als Losung dies
Wort stehen: Ich bin das Brot des Lebens. Es soll uns immer neu darauf
hinweisen: Das wahre Mittel zum Leben ist da – das Lebensbrot ist aufgetragen,
ihr braucht nur zuzugreifen und euren Lebenshunger zu stillen.
2)
Wenn wir das annehmen, wenn wir Jesu dies sein Wort
abnehmen: Ich bin das Brot des Lebens, dann müssen wir allerdings weiterfragen:
Wie macht man denn das, von diesem Lebensbrot essen? Wie man essen muss, das
weiß schon das kleinste Kind. Aber Jesu Christus, das göttliche Lebensbrot,
genießen, das ist doch sicher etwas ganz anderes, etwas, das man nicht von
selber kann, etwas, das wir erst lernen müssen!
Nun, Jesus gibt uns selber die Anweisung dazu in seinem Wort
vom Lebensbrot: „Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht
hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.“ Das also ist das
Essen des Lebensbrotes: Zu Jesus kommen, an ihn glauben! Doch damit ist uns ja
noch nicht viel weiter geholfen, denn auch da müssen wir nun gleich
weiterfragen: Wie macht man denn das, zu Jesus kommen, an ihn glauben? Wo ist
er denn zu finden, dass man zu ihm kommen kann? Darf ich euch darauf eine
Antwort geben, die euch zuerst wohl etwas erstaunen wird: Ihr erwartet sicher,
von mir zu hören: Er ist zu finden in der Heiligen Schrift; er ist zu finden in
Gottes Wort. Unser Gebet kann ihn in seiner himmlischen Herrlichkeit suchen.
Das ist alles richtig, aber wir können doch noch mehr sagen. Wo ist das
Lebensbrot, unser Herr Jesus Chrisus zu finden, dass wir zu ihm kommen, dass
wir an ihn glauben können? Er ist zu finden in dem Jahr 1954, das vor uns
liegt!
Da wird er uns auf Schritt und Tritt begegnen, wenn wir nur
recht die Augen aufmachen, um ihn zu sehen! Das wird schon nachher anfangen,
wenn du an der Kirchentür oder auf dem Heimweg der Nachbarn begegnest, mit dem
du schon lange im Streit liegst. Jetzt sitzt er ein paar Bänke weiter neben dir
in der Kirche, und es ist dir wohl nicht einmal ganz recht, dass du mit so
einen in gleichen Raum sein sollst. Wirst du nachher ihn übersehen, so wie du
es gewohnt bist – oder wirst du die Augen richtig aufmachen, und merken, dass
er ja gar nicht allein ist, sondern, dass hinter ihm Jesu steht? Wirst du
hingehen zu ihm, und die unangenehme Sache aus der Welt schaffen? Das kostet
Überwindung, denn wie, wenn er deine Hand zurückstößt? Glaub an Jesus und seine
Kraft, dann kannst du das tun, und
nachher sieht dein Leben bestimmt schöner aus! Das geht weiter, wenn du dich
daheim an den Mittagstisch setzt. Ob du gleich wieder anfängst zu schimpfen, ob
denn das Essen noch nicht fertig sei, und warum denn die Kinder nicht
hergingen. Oder ob du dich freust, dass du eine Familie hast, und bei den
Deinen sein kannst.
Ist er da nicht unsichtbar mit dabei, zu dem wir beten: Komm
Herr Jesu, sei unser Gast! Und dann geht die Arbeit wieder los, und am nächsten
Zahltag ärgerst du dich, dass dein Kollege im Akkord ein paar Mark mehr
herausbekommen hat. Warum denn? Kommt es darauf an im Leben? Und hat es nicht
noch immer gereicht. Viel wichtiger ist doch, dass du Frieden im Haus hast,
dass du ein ruhiges Gewissen hast! Und in einigen Wochen hörst du es dann aus
dem Radio: Verzögerungstaktik der Russen. Und in dir steigt es hoch: Können die
sich nicht endlich einigen, kann man sich denn nie in Frieden seines Lebens
freuen. Werde ich denn meine Sorge vor einem neuen Krieg nie los werden? Warum
sorgst du dich eigentlich? Jesus ist bei dir, der zu dir sagt: Niemand wird
dich aus meiner Hand reißen, auch die Russen nicht und die Amerikaner nicht und
auch nicht die Atombombe. Oder da begegnet dir auf der Straße der Schulkamerad
mit seinem Mädchen, und du weißt, wohin sie miteinander gehen. Sollst du Gottes
Gebot gehorchen, dir solche angebliche Freude vorenthalten? Vertraue doch
darauf, dass Gottes Gebot eine heilsame Ordnung ist, dass die Freude, die er
dir gewähren wird, weit mehr ist als solcher verbotener Genus!
Du kannst doch getrost warten, denn er weiß wohl, wie er
dich führen wird. Vielleicht bringt dir dies Jahr allerlei, das gar nicht nach
Leben aussieht: Not und Sorge, Krankheit, den Tod eines lieben Angehörigen, ja
den eigenen Tod. Wirst du da auch ihn sehen können, der stärker ist– der dich
ruft, dass du dich frei machst von der Welt, dass du ich bereitest auf seine
ewige, unauslöschliche Freude? Er will dir begegnen in diesem Jahr 1954. Mach
die Augen auf, dass du ihn richtig siehst, der zu uns spricht: Ich bin das Brot
des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt,
den wird nimmermehr dürsten.
Amen.