(1.).2. nach Trinitatis, (7.)14. Juni 1953

 

116, 1-4     Herr Jesu Christ, dich zu uns…94

141, 1-3     Allein zu dir                               299

14, 1          Freut euch ihr Christen

141            Ehr sei Gott

 

Psalm 32, 1-7

Lukas 15, 11-32

 

Liebe Gemeinde!

 

Wir alle, die wir hier beisammen sind, kennen das Gleichnis vom verlorenen Sohn. Wir haben es, vielleicht oft schon, gehört und gelesen; oder es steht uns eine der vielen Darstellungen der christlichen Kunst vor Augen, wo der Vater seinen heimgekehrten Sohn in die Arme schließt. Man hat dies Gleichnis auch schon oft das schönste Gleichnis des Neuen Testamentes genannt, sei es wegen der unübertrefflichen Kunst der Erzählung, sei es wegen der herrlichen Klarheit, mit der dies Gleichnis die väterliche Güte Gottes deutlich macht, der sich des Verlorenen annimmt. Doch, kann es uns nun mit diesem Gleichnis gehen, wie es uns wohl mit einer kunstvollen Speise gehen mag, an der wir uns gar zu leicht überessen?

Seht, ist es nicht immer wieder eine neue, überraschende Erfahrung, die wir machen, wenn wir ein Stück der heiligen Schrift betrachten, von dem wir glauben, dass es uns doch schon so genau bekannt sei – dies, dass dann irgendein Sätzlein in diesem Schriftabschnitt uns besonders in die Augen springt, uns nicht mehr los lässt, uns der Schlüssel dazu wird, den ganzen Abschnitt neu und anders zu verstehen, als wir es eigentlich gewohnt sind. Als ich mich auf diese Stunde vorbereitete, da ist mir`s so gegangen mit dem unscheinbaren Sätzlein: „Da ging sein Vater heraus und bat ihn.“ Dies Sätzlein steht da, wo der ältere Bruder, der gehorsame und fleißige, im schmutzigen Arbeitsgewand vom Felde heimkommt, wo er sich den Tag über im Dienste seines Vaters abmühte und nun hört er Musik und fröhlichen Lärm, und als er fragt, was denn da für ein Fest gefeiert werde, da heißt es: Dein Bruder, der Lump und Verschwender, der sein ganzes Erbteil durchgebracht hat, ist heimgekommen. Das will ihm nicht hinunter, dass das der Anlass zu einer solchen Freudenfeier sein soll, und darum wendet er sich ab, voll Zorn und Unmut, nicht allein über den Bruder, sondern über den Vater, der solch ein Aufheben macht, da nun sein Sohn wieder zurückgekommen ist.

„Da ging sein Vater heraus und bat ihn.“ Warum wollte er sich nicht mitfreuen, der ältere Bruder? Warum musste denn er durch sein Verhalten die Gemeinschaft zerstören, die Gemeinschaft mit dem Bruder und damit zugleich auch mit dem Vater? Seht, nun könnten wir ja beginnen zu fragen: Wer ist denn gemeint mit dem älteren Bruder. Sind wir das? Oder dürfen wir uns allein abgezeichnet sehen in der Gestalt des verlorenen Sohnes? Ob solches Fragen zu einem Ziel führt? Ob nicht vielmehr von beiden Söhnen ein gut Teil in uns steckt? Nein! Lasst uns heute doch eine andere Frage an das Gleichnis stellen, die Frage: Wie können wir zusammenkommen?

1)

Wir sind auseinandergeraten – Gott und Mensch, Mensch und Mensch – das ist das erste, was wir erkennen, wenn uns das Gleichnis Jesu den Spiegel vorhält! Man redet ja in unserer Zeit viel von einer Krise der Gemeinschaft in ihren verschiedensten Ausdrucksformen, von einer Krise der Demokratie, von einer Krise des Staates, von einer Krise der Ehe und Familie. Aber es wäre falsch, wenn wir nun hier an diesem Orte mit einstimmten in ein solches Gejammer und nun zu allen diesen Krisen auch noch von einer Krise des Glaubens in unserer Zeit redeten. Denn das, was uns das Gleichnis Jesu zeigt, das ist nicht in einer besonderen Zeitströmung begründet, das hat seinen Ursprung nicht in den schlimmern Erfahrungen, die unsere Generation machen musste, das ist nicht verursacht durch die Weltkriege und ihre Folgen.

Sondern dies, dass Gott und Mensch auseinandergeraten sind, und dass darum auch Mensch und Mensch auseinandergeraten sind, das hat seinen Grund allein in dem Herzen des Menschen selber, von dem Gottes Wort schon auf den ersten Seiten der Bibel spricht: Das Dichten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf! – Darf ich einmal, damit uns deutlicher wird, was damit gemeint ist, statt dem Wort „böse“ ein anderes Wort einsetzen, das Wort „selbstherrlich“. Diese Selbstherrlichkeit des Menschenherzens, die stellt uns unser Gleichnis in den Gestalten der beiden Söhne vor Augen. Warum fordert der eine sein Erbteil von seinem Vater? Weil es ihm nicht mehr passt, einen anderen über sich bestimmen zu lassen, weil er selber der Herr sein will. Weil er selber sein Leben in die Hand nehmen möchte, weil er es selber gestalten möchte, so, wie es ihm passt. Aber nicht nur an diesem jüngeren Sohn wird uns die Selbstherrlichkeit des Menschherzens vor Augen geführt: Warum ist denn der Ältere so erbost, als der Vater die Rückkehr seiner verlorenen Sohnes mit einem glänzenden Freudenfest begeht? Weil er das nicht einsehen will, dass der Vater mit seinem Tun recht hat, weil er denkt: Damit ist ja der Liederlichkeit Tür und Tor geöffnet. Was hat es dann noch für einen Sinn, ein ordentliches und ehrbares Leben zu führen, wenn man nur auf den Knien daherrutschen braucht, damit alles wieder gut ist? Nein, das darf nicht sein, da hat der Vater bestimmt nicht recht!

Selbstherrlichkeit – selber Herr sein wollen, selber über das, was recht ist und gut, bestimmen wollen, selber das Maß alles Tuns zu sein, das liebe Freunde, ist der Grund, warum unser Leben so fruchtlos ist! Schaut einmal das Leben und Treiben der Menschen mit offenen Augen an, schaut einmal euer eigenes Leben an, ohne euch etwas vorzumachen, liebe Freunde! Was ist denn der eigentliche Motor dieses Lebens, das, was dieses Leben in Gang hält, was diesem Leben das Maß und die Richtschnur gibt: Ist es nicht immer wieder diese Selbstherrlichkeit unseres Herzens? Schaut euch einmal die Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens an – ob das nun ein Politiker ist oder wohl auch einmal ein Pfarrer: Ist es der Wille zum Dienst, der ihr Leben prägt, oder nicht vielmehr dies, dass wir uns getragen fühlen von den Menschen, die zu uns aufschauen, die uns bewundern, die uns Ehre geben, die uns das spüren lassen, dass wir der Herr Pfarrer oder der Herr Abgeordnete oder der Herr Landrat sind. Schaut euch die Großen der Wirtschaft an, die ihre Macht messen an dem Gewinn, den sie aus ihren Unternehmen herausholen, die sich als die Herren des vielfältig verschlungenen Gewebes unserer Wirtschaft fühlen Es ist bei vielen ja gar nicht dies, dass sie ihren Gewinn genießen – sie haben doch meist keine Zeit dazu – aber Herr zu sein, das ist es, was sie treibt.

Seht aber auch die Arbeiter, die nie genug bekommen können mit Schaffen und Verdienen, die meinen, sie könnten durch das Geld sich zu Herren machen – sie könnten sich mit ihrem Geld nun doch das leisten, wozu sie gelüstet. Es ließe sich vieles noch anführen, das die Selbstherrlichkeit des Menschenherzens belegt – wir brauchen nur einmal die Augen aufzumachen, um das zu erkennen, brauchen nur einmal ganz wahrhaftig unser Herz mit seinem innersten Wollen zu betrachten. Und darum, weil wir selber Herren sein wollen, darum sind wir auseinandergekommen. Denn es kann nur einen Herrn geben, und nur einen Willen, dem sich die anderen unterordnen und nur einen, der bestimmt, was gut ist!

Weil wir selber Herren sein wollen, darum sind wir auseinandergeraten – Gott und Mensch, Mensch und Mensch.

2)

Doch damit, dass wir das erkannt haben, dass wir auseinandergekommen sind, wird nun ja die Frage noch viel dringlicher: Wie kommen wir wieder zusammen?

Darf ich da einmal zunächst all das beiseite lassen, was uns unser Gleichnis auch zu sagen weiß von dem Weg des jüngeren Sohnes in die Fremde, von seinem Elend, von seiner Selbstbesinnung und seiner Umkehr, und einmal auf dies eine, schlichte Sätzlein hinzuweisen: „Da ging sein Vater heraus und bat ihn.“ Man hat schon oft gefragt, wer denn der Vater in diesem Gleichnis vom verlorenen Sohn eigentlich sei, und wir sind sehr leicht versucht, darauf die schnelle Antwort zu finden: Der Vater, das ist natürlich Gott!

Doch wenn wir dies Sätzlein genau betrachten, und dazu die Situation ansehen, in der Jesus sein Gleichnis gesprochen hat, dann kommen wir zu einer anderen Antwort. Was ist denn der Anlass für dies Gleichnis gewesen, und zu wem hat Jesus dies Gleichnis gesagt? „Es nahten aber zu ihm allerlei Zöllner und Sünder, dass sie ihn hörten. Und die Pharisäer und Schriftgelehrten murrten und sprachen: Dieser nimmt die Sünder an und isset mit ihnen. Er sagte aber zu ihnen dies Gleichnis.“ Ist es nicht eigentlich überraschend, wenn wir da hören, dass das Gleichnis vom verlorenen Sohn zum ersten Mal gar nicht an solche ganz und gar verlorenen und gottfernen Menschen gerichtet war, wie wir das uns gern vorstellen. Sondern dass es an die Frommen gerichtet ist, an die Untadeligen, an die Männer mit der weißen Weste; Jesus hat sich ja viele schlimme Vorwürfe gerade von diesen Vertretern seiner Religion gefallen lassen müssen, aber wohl der merkwürdigste ist doch dieser: „ Dieser Mensch ist ein Fresser und Weinsäufer, der Zöllner und Sünder Geselle.“ Dieser Vorwurf beleuchtet einen Zug im Bilde Jesu, den wir gewöhnlich gar nicht sehen. Was hat Jesus getan?

Auf diese Frage geben wir die Antwort: Er hat gepredigt, ist im Lande umhergezogen, um Kranke zu heilen, er hat seine Jünger berufen und gelehrt. Aber da wird uns nun ein Neues gezeigt: Jesu hat gefeiert – er feierte das große Fest der Heimkehr, feierte es mit den verlorenen Söhnen seines Volkes, mit den Zöllnern, die gehasst und verachtet waren, weil sie mit der Besatzungsmacht zusammenarbeiteten, mit den Dirnen, die ein anständiger Mensch nicht einmal anschaute. Und während er so das Fest der Heimkehr feierte, der Heimkehr, die besagt: Das Reich Gottes ist weit offen für alle, die heim wollen aus ihrer Selbstherrlichkeit, die doch nur Not und Elend bringt, heim in den Dienst Gottes, unter den Schutz und die Leitung Gottes, - während er so das Fest der Heimkehr feierte, sah er die Anderen abseits stehen, die Frommen, die Gottesfürchtigen. Da ist er, Jesus selber, herausgekommen und hat sie eingeladen, doch mit dabei zu sein bei dieser Freude, sich doch nicht auszuschließen von diesem großen Fest, das gefeiert wird, weil nun das Paradies wieder offen steht, weil Gott und Mensch wieder zusammenkommen dürfen, weil er selber, Jesus, dasteht als das Unterpfand dafür, dass es nun zu Ende ist mit der menschlichen Selbstherrlichkeit, dass nun Gott selber den Weg freigemacht hat, mir dem wir zu ihm zurückkehren dürfen – dass wir unsere Vergangenheit hinter uns lassen dürfen und alles, was uns beschwert, getrost in Gottes Vaterhand legen können.

3)

Gott und Mensch sind zusammengekommen, das zeigt uns das fröhliche Fest, das Jesus da mit den Zöllnern und Sündern feiert. Und wir sind aufgefordert – ja vielmehr noch: Unser Herr Jesu Christus selbst bittet uns: Feiert doch mit, kommt doch auch herein, lasst euch doch mitragen von dieser Freude, freut euch doch selber mit. Wir könnten jetzt ja einwenden: Unsere Lage ist aber eine ganz andere als die der Menschen damals. Jesus selber ist ja gar nicht mehr unter uns – und in der Kirche selber, da sehen wir eigentlich recht wenig von dieser Freude – da sehen wir vielmehr gesenkte Köpfe und erste Gesichter und schwarze Anzüge, und hören gar zu oft nur immer wieder: Das darfst du nicht tun und das musst du tun. Ich hoffe, ihr werdet mich nicht missverstehen, liebe Freunde, wenn ich so einmal ein recht düsteres Bild von unserer Kirche zeichne. Denn wir sollten das wirklich recht deutlich sehen, dass da etwas nicht stimmt im Leben unserer Gemeinden, wenn man nicht etwas spürt von dieser Freude, von dieser Gemeinschaft der Freude! Wie können wir wieder zusammenkommen – Mensch und Mensch? Auch auf diese Frage will uns ja Jesu in seinem Gleichnis eine deutlich und klare Antwort geben: Freuet euch miteinander darüber, das der Weg der Heimkehr zu Gott offen ist. Kommt zusammen und feiert miteinander!

Es ist hier der Platz, um einmal auf eine Seite des heiligen Abendmahles hinzuweisen, die wir so leicht vergessen und nicht beachten: Wir sehen an diesem Mahl, mit Recht, das, dass uns hier die Sündenvergebung ganz persönlich zugesprochen wird, dass uns hier die Gemeinschaft mit Jesus geschenkt wird. Aber dieses Mahl will uns mehr zeigen: Es will uns sagen: Ihr gehört zusammen in einer Gemeinschaft, deren Grund die Freude ist!

Seht, das ist die offene Wunde unserer christlichen Gemeinden, auf die Jesus mit seinem Gleichnis den Finger legt, mit dem kleinen Sätzlein: Da ging sein Vater heraus und bat ihn: Dies, dass wir so wenig zusammen kommen. Dies, dass wir so wenig Gemeinschaft miteinander haben. Da sitzen wir Sonntag für Sonntag auf einer Kirchenbank. Aber was wissen wir denn voneinander? Sind wir denn schon einmal auf den Gedanken gekommen, miteinander zu feiern, uns miteinander zu freuen, einander einzuladen und zu besuchen – aus keinem anderen Anlass als eben aus dem: Wir sind zusammen gekommen mit Gott, der Weg der Heimkehr ist offen. Diese Freudenbotschaft sollte uns alle zusammenführen zu einer großen Gemeinschaft der Freude. „Da ging sein Vater heraus und bat ihn. Lasst uns auf diese Bitte hören!

Amen