Letzter n.
Epiphanias, 19.1.1964 Wolfenhausen/Nellingheim
499, 1-4 Du Wort
des Vaters (63)
46, 1-5 Herr
Christ, der König (98)
100, 5.6 Jauchzt
Erd und Himmel (76)
499,10 Du Wort
des Vaters (63)
Luk 10, 25-37, 1. Kor 2,1-10
Liebe
Gemeinde!
„Nicht mit hohen Worten und hoher Weisheit“ – das ist
nicht die Aufgabe der rechten Predigt. Aber das heißt auch nicht einfach,
es müsse sich der Prediger der Fassungskraft seiner Zuhörer anbequemen, seine
Worte müssten eben schlicht und einfach und für jedermann verständlich sein.
So auch nicht! Denn gewiss mag das ein Vorteil sein, wenn einer schlicht und
verständlich zu reden vermag so, dass die Leute seine Worte auch verstehen
und fassen können.
Aber damit ist noch lange
nicht gesagt, dass er nun nicht doch jene Weisheit gepredigt, mit welcher
der Apostel Paulus nichts zu tun haben will.
Denn jene
Weisheit, die ist gerade etwas, was den Leuten eingeht. Nicht irgendwelche
seltsamen und hintergründigen Weisheiten, die nur ein paar Leute anziehen,
die sowieso schon ein wenig verdreht sind: Nein! Da ist gemeint jene praktische
Klugheit und Lebenskunst, von der wir allesamt gar nicht so wenig halten.
Das ist die Weisheit, mit der der Apostel Paulus nichts zu tun haben will
– jene Lebenskunst, jene Lebenserfahrung, welche wir alle haben, die wir meinen:
Ich kenne die Welt! Ich kenne die Menschen! Ich weiß, wie ich mich zu verhalten
habe, ich weiß, was ich zu tun habe. Da gibt es allgemeine Regeln, wie sie
etwa in unseren Sprichwörtern formuliert sind: Geld regiert die Welt! Mit
dem Hute in der Hand, kommt man durch das ganze Land! Es kann der Frömmste
nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt! Jeder ist
sich selbst der Nächste! – soll ich weiter machen? Wir haben ja alle diese
Lebensweisheiten im Kopf, wir gebrauchen sie in unserer Rede – jawohl, und
wir richten uns danach! O ja – das sind ja nicht einfach böse und verwerfliche
Regeln: Morgenstund‘ hat Gold im Mund! Ohne Fleiß kein Preis! Und
es sind wohlgemeinte und durchaus beherzigenswerte Ratschläge darunter – wenn
es zum Beispiel heißt: Mit großen Herren ist schlecht Kirschen essen – und
erst recht mit solchen, die sich einbilden, sie seien solche großen Herren.
Seht – wir brauchen nur ein wenig nachzudenken, dann erkennen wir, wie wir
umstellt sind von solchen Weisheiten, von solche Urteilen, in denen sich viel
Erfahrung niedergeschlagen hat. Und zu dieser allgemeinen Weisheit trägt jeder
von uns noch seine besonderen Weisheiten im Kopf herum, auf die er womöglich
besonders stolz ist. Und lebt dann danach: Auf einen großen Klotz gehört ein
grober Keil – und hilf dir selbst, so hilf dir Gott.
Nichts davon
wollte Paulus wissen, als er in Korinth war und denen
predigte. Warum? Das hätte doch den Leuten eingeleuchtet. Das hört doch jeder
gern, und freut sich, wenn er wenigstens etwas klüger noch Hause kommt, als
er fortgegangen ist. Warum wehrte sich Paulus denn so sehr gegen eine derartige
Weisheit, eine derartige Lebenskunst? Weil er nichts davon verstand, weil
er hier nichts zu sagen hatte? – Oder vielleicht deshalb, weil er zu viel
davon verstand? Deshalb, weil er wusste, wohin eine solche Lebenskunst schließlich
führt? „Ich hielt nicht dafür, dass ich etwas wüsste unter euch als allein
Jesus Christus, den Gekreuzigten.“ Das ist des Paulus Weisheit, das ist seine
Lebenskunst! „Dennoch Weisheit, sagt er – aber Weisheit bei den vollkommenen;
nicht eine Weisheit dieser Welt, auch nicht der Herrscher dieser Welt, die
vergehen.“ Freilich – da müssen wir nun sehr behutsam weiterdenken, wenn wir
diese Weisheit zu Gesicht bekommen wollen. Um die Herrscher dieser Welt geht
es hier, denen Paulus seine Weisheit entgegensetzt, die Weisheit vom gekreuzigten
Jesus Christus. Wer sind die, von welchen Paulus da so geheimnisvoll redet,
diese Herrscher der Welt? Die, welche Gottes Weisheit nicht erkannt haben,
sonst hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt?
Menschen
sind das nicht, wie wir vielleicht zuerst denken möchten, wo wir von den Herrschern
dieser Welt hören. Menschen sind das nicht, ein Pilatus nicht, der den Befehl
zur Kreuzigung Jesu gegeben hat, und auch der jüdische Hohepriester Kaiphas nicht, und die Männer des Hohen Rates nicht, die den
Pilatus so weit brachten. Nein, das sind übermenschliche Mächte, Gewalten
im Hintergrund, die doch uns Menschen in der Hand haben und bestimmen möchten
über unser Tun und Lassen. Ich will diese Herren einmal bei einen sehr simplen
Namen nennen: Es sind Vorurteile. Lächeln wir nicht – tun wir nicht so, als
seien wir über derartige Vorurteile erhaben. Niemand ist das außer denen,
die Paulus die vollkommenen nennt, denen er die rechte, göttliche Weisheit,
die rechte, göttliche Lebenskunst zu lehren vermag.
Die Vorurteile
haben Jesus ans Kreuz gebracht, recht schön aussehende und recht fromm erscheinende
Vorurteile sogar: Dass Gott mit den Ungerechten und Sünden nichts zu tun habe,
beispielsweise, und dass der, mit welchem es Gott hält, auch Glück und Erfolg
haben müsse, beispielsweise. Und dass es besser sei, um der Ruhe und Ordnung
willen einen Menschen rechtmäßig beiseite zu bringen, damit nicht daraus Dinge
entstünden, die man dann nicht mehr in der Hand hat – besser ist`s,
dass ein Mensch sterbe, denn dass das ganz Volk verderbe. Jawohl- das sind
auch Weisheiten – das sind sogar sehr kluge und sehr tüchtige Regeln. Herrscher
dieser Welt sind das!
Sind`s nicht leicht auch unsere Herren?
Beispielweise das Vorurteil, dass es auf den Erfolg ankomme im Leben? Wer
richtet sich denn nicht danach, lässt sich nicht von dem Herren Erfolg an
der Nase herumführen? Beispielsweise das Vorurteil, dass einer unbedingt Recht
behalten müsse, sonst habe er`s verspielt – die
Eltern etwa den Kindern gegenüber, oder der Lehrer den Schülern gegenüber,
oder irgend eine Amtsperson, sei`s nun in Minister
oder ein kleiner Schreibern, ein Pfarrer oder ein Bürgermeister, denen gegenüber,
mit denen er`s zu tun hat. Oder das Vorurteil, als käme es darauf an,
wenigstens nach außen hin den Schein der Wohlanständigkeit zu wahren, und
wenn man schon einmal nicht so ganz mit dem Anstand durchkomme, dann müsse
man das wenigsten heimlich und hintenherum machen!
Herren, Herrscher,
die uns gängeln, nach denen wir uns richten, die unser Leben bestimmen – viel
mehr noch, als wir das wissen und bemerken. Aber was ist das für eine Weisheit,
auf die wir uns da einlassen? Weisheit der Herren dieser Welt, die vergehen!
Und wer sich auf diese Weisheit einlässt, auf diese Weisheit der Vorurteile
– der vergeht mit. Wie eine Wand umstehen sie uns, diese Herren, und verstellen
uns die Zukunft – den wohin kommen wir mit unserem Erfolg, mit unserer Rechthaberei,
mit jener heuchlerischen Wohlanständigkeit, an der uns so viel gelegen ist?
Weiter kommen wir jedenfalls nicht als bis zum Grab. Und dann?
Seht:
Daran ist Paulus gelegen, mit seiner Kreuzespredigt, die wahre, die göttliche
Lebenskunst, dieser falschen und angemaßten Weisheit entgegenzusetzen. Freilich:
Mit Worten ist`s da nicht getan. Dazu sitzen diese
Mächte, diese Weisheiten, diese Vorurteile zu tief in uns, da umstehen sie
uns viel zu dick, als dass da mit wohlgemeinten Worten viel auszurichten wäre.
Aber so sagte Paulus ja nicht. Nein!
„Mein Wort
und meine Predigt geschah nicht mit überredenden Worten menschlicher Weisheit,
sondern in Erweisung des Geistes und der Kraft, auf dass eurer Glaube nicht
bestehe auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft.“ Und später redet
Paulus dann von jenem Geist, der auch die Tiefen der Gottheit erforscht, und
der uns jene Weisheit des göttlichen Ratschlussen offenbart: „Was kein Auge
gesehen hat und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist,
was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben.“
Da ist die
Mauer der Vorurteile beiseite geschoben – durch Jesu Kreuz! – Da ist die Tiefe
der göttlichen Liebe erschlossen, als unser Ziel, in dieser Kraft des Geistes.
Wie kommen
wir zu ihr? Die damals haben anscheinend etwas erfahren von dieser Kraft, sonst
wären sie nicht Christen geworden. Aber wir? Wie können
wir uns einlassen auf jene Lebenskunst, jene verborgene, göttliche Weisheit,
die uns Christi Kreuz lehrt. Beispielsweise einmal aufhören mit der
Rechthaberei. Einmal verzichten. Einmal einen Menschen sehen und gelten lassen.
So geht`s hinein in die Tiefen Gottes. … Amen