Estomihi, 28. Februar 1954, Heimsheim

 

52, 1-6       Es geht daher                      

417, 1-4     Lasset uns mit Jesu ziehen

415, 7        Mir nach, spricht Christus

15, 10.11   Sollt ich meinem Gott

 

Matthäus 16, 21-27

2. Kor 11, 23-30

 

Liebe Gemeinde!

 

Während meines Studiums habe ich in Norddeutschland einmal eine Zeltevangelisation besucht. Am letzten Abend erzählte der Evangelist, wo er schon alles gearbeitet habe, und wie viele Menschen er in dem und dem Ort zum Glauben geführt habe. Dann schloss er: „Nun möchte ich doch gerne wissen, was der Herr hier gewirkt hat. Bei wem in dieser Woche etwas anders geworden ist, der soll doch bitte jetzt zurückbleiben.“ Ich bin nicht da geblieben, sondern sehr nachdenklich nach Hause gegangen. Der Mann hatte sonst nicht schlecht gesprochen und manches hatte mich schon beeindruckt. Aber nun ist mir auch das auf einmal recht fraglich geworden. Kann man denn im Dienst des Evangeliums so seine Erfolge zählen?

Kann man überhaupt in Zahlen fassen, was das Wort Gottes wirkt. Ist der Diener Christi nach seinen Erfolgen zu bemessen? Kann man zum Beispiel sagen, dass ein Pfarrer, der eine volle Kirche hat, ein besserer Diener Christi ist als der, der eine leere Kirche hat? Liebe Freunde! Unsere Zeit ist eine Zeit, in der man sehr viel Wert auf Statistik legt. Wer nur sichere Zahlen vorweisen kann, um seine Sache zu belegen, der hat schon gewonnen. Sollte das nicht auch in der Kirche gelten? Dass wir durch gewichtiges Zahlenmaterial etwa den Fortschritt des Reiches Gottes in unserer Zeit darlegen; und damit die Berechtigung unseres Glaubens und seine Richtigkeit beweisen. Aber solches Rechnen und Zählen ist falsch! Die Sache unseres Herrn Christus ist nicht eine Sache des Erfolges, den wir in Zahlen fassen und in ein schönes Büchlein drucken können. Denn Zahlen können auch lügen! Rechnen wir doch einmal nach: In unserer Gemeinde gibt es 1200 Evangelische, die Kinder mitgerechnet. In einem Jahr haben etwa 12000 Personen den Gottesdienst besucht – also geht der Heimsheimer durchschnittlich 10 mal jährlich in die Kirche. Sind wir denn nicht eine fromme Gemeinde? Wir könnten auch anders rechnen. Zum Beispiel werden hier jährlich 5 ½ tausend Mark Kirchensteuer bezahlt, und 3000 Mark geopfert. Also gibt jeder Heimsheimer für die Kirche durchschnittlich 7 Mark im Jahr! Kann man da nicht sagen: Jawohl, wir hier sind rechte Christen? Ihr seht selber, liebe Freunde, wie töricht solches Rechnen ist, das seine Berechtigung vielleicht dort hat, wo man Erzeugung und Verbrauch, Verdienst und Bedarf der Menschen schnell überblicken möchte. Das aber vollständig wert- und sinnlos ist, wo es darum geht, sich die Bedeutung Jesu Christi klarzumachen. Willst du dir über deinen Glauben Rechenschaft ablegen, dann nützen Zahlen reichlich wenig! Willst du den Beweis dafür antreten, dass du wirklich ein Christ bist, dann ist es eine sehr fragwürdigen Sache, wenn du das so tust, dass du nachrechnest, wie oft du in der Kirche gewesen bist, wie viel du gegeben hat für gut Zwecke.

Lassen wir das einmal ganz beiseite! Lassen wir uns vom Apostel Paulus zeigen, was wirklich zählt in unserem Leben, was zählt für Gottes Reich! Und was ist das? In Gottes Augen, da zählt allein das Kreuz!

 

1)

Der Apostel Paulus macht in seinem Brief an die Korinther auch eine Statistik auf. Aber was ist das für eine merkwürdige Zusammenstellung. Lasst sie uns einmal näher betrachten! Denn in dieser Statistik, da wird uns deutlich, nach welchem Gesetz das Christenleben in dieser Welt läuft. Und es ist gut, wenn wir uns dies Gesetz gründlich klarmachen, denn nach diesem Gesetz läuft auch unser Leben, wenn wir recht Christen sind! Dem Paulus haben seine Gegner in Korinth das bestritten. Die behaupteten, er sei gar kein rechter Apostel und kein rechter Christ, sondern ein Lügner, der die Leute verführe, um sich Ruhm und Ehre zu erwerben. Und da ist der Apostel nun gezwungen, obschon ungern und mit großem innerem Widerstreben, seine Rechnung aufzumachen. Seine Gegner behaupten, sie seien die wahren Diener Christ: Und dagegen stellt nun Paulus seine Behauptung: Wenn die Diener Christi sein wollen - ich bin’s noch mehr! Doch wie das nun beweisen? Wäre Paulus jener Zeltevangelist gewesen, von dem ich am Eingang erzählte, so hätte er wohl eine Erfolgsstatistik aufgestellt. Und das wäre sicher eine imponierende Sache geworden, die ungefähr so hätte lauten können: 7000 km zu Fuß, 3000 km zu Schiff gereist. Dabei 12 verschiedene Völker besucht, in 80 Städten christliche Gemeinden mit einer Gesamtseelenzahl von 3000 oder 5000 gegründet. Das ließe sich doch hören als die Leistung eines einzelnen Mannes, auch in unserer Zeit, die von großen Zahlen geradezu erdrückt wird. Aber nichts von alledem, was er erreicht hat, womit er imponieren könnte, führt der Apostel an. Nein! Wenn es schon gilt, den Tatbeweis dafür anzutreten, dass er ein rechter Diener Christi ist, dann schlägt er lieber ein anderes Blatt seines Lebensbuches auf. Und da steht geschrieben, was ihm der Dienst Christi eingebracht hat. Achtmal ist er zur Prügelstrafe verurteilt worden. Fünfmal von den Juden zu 39 Stockschlägen – das ist das, was ein Mensch gerade noch aushalten kann, ohne zu Grunde zu gehen. Drei mal haben ihn die Römer mit Ruten züchtigen lassen. Einmal, das war, wie die Apostelgeschichte berichtet, in der Stadt Lystra, haben sie ihn gesteinigt und für tot liegen lassen, und nur durch ein Wunder ist er damals mit dem Leben davon gekommen. Dreimal hat er bei seinen Reisen Schiffbruch erlitten, einmal ist er dabei sogar 24 Stunden auf dem Meer herumgetrieben, bis er dann doch noch gerettet wurde. Jawohl, ein gefährliches Leben ist es, das dieser Diener Christi auf seinen Reisen führte, in Gefahr durch Flüsse, in Gefahr durch Räuber, in Gefahr unter den Juden! In Gefahr unter den Heiden, in Gefahr in den Städten, in Gefahr in der Wüste, in Gefahr auf dem Meer, in Gefahr unter den falschen Brüdern – und es ist nicht leicht und angenehm, dieses Leben, in viel Arbeit und Mühe, in viel Wachen, in Hunger und Durst, in viel Fasten, in Frost und Blöße. Und dazu dann noch die tägliche kleine Mühe und Not – wie groß erscheint uns schon die, wenn wir es recht bedenken: Dass ich täglich werde angelaufen und trage Sorge für alle Gemeinden. Wer ist schwach, und ich werde nicht schwach? Wer wird geärgert, - und ich brenne nicht? – also nicht genug des eigenen Leidens, auch noch die fremde Not und Schwachheit trägt er mit. Sind denn das Dinge, auf die man stolz sein kann? Ja – sieht das so aus wie das Leben eines Mannes, der Christi Diener ist, dessen Arbeit unter dem Beistand und dem Segen Gottes steht? Wenn Gott hinter diesen Werk steht – müsste dann nicht alles viel glatter gehen? Liebe Freunde, der Apostel Paulus hat das Gesetz erkannt, er hat es an seinem Leben erkannt, und hat seine Erkenntnis wieder durch Leben bewährt: Wo Gott am Werk ist, da wird der Mensch immer kleiner, da vergeht ihm immer mehr das Vertrauen auf die eigene Kraft, die eigene Leistung, das eigene Können. Wo Gott am Werk ist, da wird der Mensch immer kleiner, dass Gott desto größer werden kann. Darum schließt der Apostel Paulus seine Rechnung ab mit den Worten: So ich mich ja rühmen soll, will ich mich meiner Schwachheit rühmen. Wenn es gilt, den Beweis dafür anzutreten, dass wir Christen sind – dann allein so, dass wir zeigen, wie das Kreuz Christi in unser Leben hineinwirkt, dass wir sehen, wie Gott uns klein macht, wie er uns zeigt, dass wir ohne seine Hilfe verloren sind. Das, liebe Freunde!, ist das Gesetz des Christenlebens, das Paulus an sich selber aufzeigt: Je kleiner Gott uns macht, desto näher sind wir der Herrlichkeit. Je größer unsere Schwäche und Hilflosigkeit, desto mehr Raum können wir seiner Hilfe geben!

 

2)

Es ist gut, wenn wir das einsehen, wenn wir es gar an einem so großen Beispiel wie dem Apostel Paulus vorgeführt bekommen. Doch was sollen wir nun damit anfangen? Sollen wir es auch versuchen, nun eine Statistik aufzustellen – eine Statistik des Leidens, eine Statistik der Schwachheit? Geht es darum, dass wir nun einmal aufzählen, was wir schon alles durchgemacht haben? Jawohl, da käme sicher allerhand zusammen, allerhand Schweres, viel Leid und Not und Schmerz. Liebe Freunde! Dazu sind wir ja alle immer wieder versucht, das zu erzählen, was wir doch schon alles durchgemacht haben. Und dann sind wir gleich mitten drin im Jammern und im Klagen. Wir haben mit uns selber Mitleid, weil wir`s doch so schwer haben im Leben, und suchen das Mitleid dessen zu erwecken, den wir da an unserem Kreuz teilnehmen lassen!

Jammert der Apostel Paulus? Klagt er darüber, dass er es so schwer hatte im Dienst Christi, dass er so viel durchmachen musste? Er hätte doch allen Grund dazu, viel mehr noch wohl als wir, denn was er durchgemacht hat, davon können wir uns kaum eine rechte Vorstellung machen! Nein! Nicht ein Grund zum Jammern und zum Klagen ist es, wenn unser Weg unten durch geht, sondern viel mehr ein Grund zum Freude! Denn das gilt ja, seit Jesus Christus für uns sein Leben gelassen hat: In Gottes Augen, da zählt allein das Kreuz. Und je mehr wir unter das Kreuz geführt werden, desto näher kommen wir ja unserem Herrn Christus. Je weniger uns unsere eigene Kraft hilft, desto mehr kann die Kraft Gottes in unserem Leben wirksam werden. Das gilt es zu erkennen und festzuhalten, was immer uns auch begegnen mag. Darf ich einmal von mir selber reden: Wie schwach und arm sind die Worte, die ich sagen kann. Wie wenig vermögen sie das klar zu machen, was doch die einige, rettende Wahrheit ist für uns alle. Wie wenig vermögen sie zu überzeugen, wie wenig kann ich euch klarmachen, was ich euch eigentlich sagen sollte, was ich den Kindern sagen sollte, die mir im Unterricht anvertraut sind, was ich auch all denen sagen sollte, zu denen ich selten oder nie reden kann. Und doch darf ich mit Freuden meinen Dienst tun, denn hinter all unserer Schwachheit steht ja die Kraft des allmächtigen Gottes. Und so mag es vielen unter euch gehen, die um anvertraute Menschen bangen, um die Kinder, um den Ehegatten: Wie gerne würden wir sie auf den rechten Weg bringen, und leiden darunter, dass sie in die Irre gehen! Gott allein kann einen Menschen zur Wahrheit führen. Das erkennen wir da, und dessen, liebe Freunde, dürfen wir uns trösten. Je schwächer wir sind, je mehr unser eigenes Können versagt, je klarer wir unsere Machtlosigkeit einsehen, desto mehr können wir Gott Platz machen und seinem Wirken, das oft so ganz anders führt, als wir uns das denken! Noch eines möchte eich anführen, das uns allen immer neu so schwer zu schaffen macht: Das ist die Schwachheit und Gebrechlichkeit unseres Leibes. Da wird es uns vielleicht am allerdeutlichsten, dies, dass wir nicht so können, wie wir wollen. Wie machtlos stehen wir doch der Krankheit gegenüber, trotz aller ärztlichen Kunst, wie hilflos sind wir, wenn uns der Tod begegnet. Hast du’s gelernt, über dieser Schwachheit, über dieser Hilflosigkeit froh zu werden? Hast du’s gelernt herzugeben? Herzugeben, damit Gott desto reichlicher schenken kann, er, der stärker ist als Not und Tod?

 

Liebe Freunde! Das ist es, was bei Gott zählt: Das Kreuz. Das ist es, was einen rechten Christen ausmacht: Die Schwachheit freudig anzunehmen, damit Gott desto reicher geben kann: Das lasst uns am Beispiel des Apostels Paulus lernen, der sich seiner Schwachheit rühmte, weil in dieser menschlichen Schwachheit die göttliche Kraft offenbar wurde. Amen