Röm 9,
1-5; 10, 1-4, 10.8.1958 Wolfenhausen/
Nellingsheim
215, 1-4 Jesu, der
du bist alleine (7)
469, 1-5, Ich
glaube, dass die Heiligen (73)
221, 1-2 Einer
ists, an dem wir hangen (239)
205, 6 Lob Gott
getrost mit Singen (165)
Jes. 41, 8-14
Röm 9, 1-5; 10, 1-4
Liebe
Gemeinde!
Am letzten Mittwoch konnte man in der Zeitung eine kleine
Meldung finden: „Rassenhass auf der Autobahn“ (Zit.).
Was dort geschehen ist, das ist leider in unserer
Bundesrepublik kein Einzelfall; denken wir etwa an den Studienrat Zind, der
behauptet hat, Hitler habe noch viel zu wenig Juden vergast. Denken wir an die
vielen feigen Kerle, die ihren Hass gegen die Juden immer wieder in Schändungen
jüdischer Friedhöfe auslassen: Alles Anzeichen dafür, dass nur zu viele Menschen
unseres Volkes das Gift des Hasses noch in sich tragen, das man uns allen
eingeimpft hat, als man den Juden als den wahren Feind des deutschen Volkes und
der Menschheit hinstellen wollte. Haben wir uns den wirklich freigemacht von
diesem Gift? Von der Meinung, der Jude, das sei eben der Parasit, der zu keiner
ehrlichen Arbeit tauglich sei, sondern der allein vom Schacher und Wucher lebe?
Vielleicht darf ich das hier auch ganz kurz erwähnen: Dass
die Juden bei uns als Händler in Erscheinung getreten sind, das hat seinen ganz
bestimmten Grund: Bis vor etwa 200 Jahren war es, durch das ganze Mittelalter
hindurch, den Juden verboten, Grundbesitz zu haben oder ein Handwerk zu
treiben. Was blieb ihnen den da anderes übrig, als eben der Handel, wollten sie
ihr Leben fristen. Es war die Schuld der Christen und ihrer staatlichen
Gesetzgebung, dass man die Juden in diese Rolle des Händlervolkes gedrängt hat.
Und dass daraus dann eine gottlose und unmenschliche Regierung im Dritten Reich
das Recht ableitete, die Juden als Schädlinge einfach zu Millionen zu
vertilgen, das ist nur desto schlimmer! Wie Grauenvolles damals geschehen ist,
das bekommen wir ja erst jetzt so nach und nach zu wissen. Wer in den letzten
Wochen den Ulmer Prozess gegen die … Judenmörder verfolgt hat, der musste immer
wieder erschrecken, wie Grausiges da geschehen ist. Wie man wehrlose Frauen
abgeschlachtet hat. Wie einen für die kleinen Kinder sogar der Schuss… zu
schade gewesen ist, und man ihnen einfach den Schädel eingeschlagen hat! -
Beruhigen wir uns ja nicht dabei, liebe Freunde, dass wir sagen, man habe nun
ja die Schuldigen gefasst und ihrer gerechten Strafe zugeführt. Oder dass wir
gar die Meinung vertreten, man solle doch diese vergangenen Dinge ruhen lassen,
und nicht mehr in jenen schauerlichen Sumpf des Dritten Reiches herumwühlen!
Das dürfen wir nicht, liebe Freunde, und dabei beruhigen, so tun, als ginge das
uns persönlich nichts an, als hätten wir mit jenen grauenvollen Morden nichts
zu tun! Haben wir nicht auch geglaubt, was man uns von der Minderwertigkeit der
Juden vorgelogen hat? Haben wir nicht auch die giftige Pflanze des Hasses in
unseren Herzen wuchern lassen? Haben wir nicht auch uns abgewandt, wenn einer
mit dem gelben Stern uns begegnete? – Seht, es geht uns etwas an, was mit den
Juden geschehen ist, es geht uns etwas an, als Deutsche, die in der besonderen
Schuld der Juden stehen, und erst recht als Christen, die es eigentlich hätten
anders wissen müssen. Anders wissen müssen von der Heiligen Schrift her, die
uns sehr vieles zu sagen weiß von dem jüdischen Volk und seiner Eigentümlichkeit.
Die aber ganz gewiss nicht auffordert zu Hass und
Vernichtung, sondern zu Liebe und Fürbitte für dieses Volk! So, wie uns das der
Apostel Paulus heute von sich selber bekennt:
„Ich sage die Wahrheit in Christo und lüge nicht, wie mir
Zeugnis gibt mein Gewissen im dem Heiligen Geist, dass ich große Traurigkeit
und Schmerzen ohne Unterlass in meinem Herzen habe. Ich habe gewünscht,
getrennt zu sein von Christo für meine Brüder, die meine Stammverwandten sind
nach dem Fleisch…“ Und wieder: „Liebe Brüder, meines Herzenswunsch ist
und ich flehe auch zu Gott für Israel, dass sie selig werden.“
Nun könnte man freilich einwenden: Ja, das, was hier gesagt
ist, das gilt eben von dem Apostel Paulus. Denn er ist ja selber Jude gewesen,
Glied dieses Volkes, Glied dieser Rasse. Und er gehört darum ganz natürlich mit
dazu zu diesen Menschen, mit denen wir, die Deutschen, die Arier, die nordische
Rasse ganz gewiss nichts zu tun haben brauchen.
Seht, ein solcher Einwand, der gehört mit dazu zu der großen
Lüge, der wir verfallen waren. Jene Meinung, als ob es die rassische, die
natürliche, die biologische Besonderheit sei, die den Juden absondere von
anderen Völkern, die ihn zum Gegenstand des Hasses mache. Das ließe sich schon
ganz einfach dadurch widerlegen, dass ihre schärfsten Gegner in der heutigen
Zeit, die Araber, blutsmäßig ihre nächsten Verwandten sind. Nein! Das haben wir
zunächst einmal als eine unverbrüchliche Wahrheit aus der Heiligen Schrift
festzuhalten: Dass die Juden anders sind, dass sie abgesondert sind von allen
Völkern, unter denen sie vertraut wohnen auf der ganzen Welt, das hat seinen
Grund einzig und allein darin, dass Gott sie ausgesondert hat, dass er sie
seiner besonderen Gemeinschaft gewürdigt hat: „Die da sind von Israel,
welchen gehört die Kindschaft und die Herrlichkeit und der Bund und das Gesetz
und der Gottesdienst und die Verheißungen.“
Das macht Israel, macht das jüdische Volk zu etwas
Besonderem, diese Gemeinschaft, deren Gott sie gewürdigt hat! Und seht, liebe
Freunde, diese Besonderheit, das ist Israels Stolz, und ist seine Last. Denn
diese Besonderheit, die hat immer wieder die entsetzlichsten Leiden und
Verfolgungen über dieses Volk herabbeschworen.
Ich kann sie jetzt nicht alle aufzählen – genug, dass wir
das jüngste entsetzliche Leiden, das diesem Israel zu unserer Zeit und durch
unser Volk zugefügt wurde, und das noch nicht zu Ende ist, wie das eingangs
erwähnte Beispiel zeigte, noch gut im Gedächtnis haben. Und dies Leiden, das
die Last der besonderen Gottesgemeinschaft Israels ausmacht, das wird willig
getragen von diesem merkwürdigen Volk. Es wäre den Juden ja ein Leichtes
unterzutauchen in den Völkern, bei denen sie zu Gast sind. Sie brauchten nur
deren Glauben anzunehmen, und ihren Zusammenhalt untereinander aufzugeben. Doch
gerade das macht ja die Größe Israels aus, dass es an seinem Glauben an seiner
Besonderheit festhält; dass es an der Erwählung, die ihm einmal widerfahren
ist, mit seiner ganzen Kraft festhält, und nicht daran denkt, diese
Besonderheit aufzugeben. Daraus allein kann es überhaupt erklärt werden, warum
es dieses Volk noch gibt, obwohl es 2000 Jahre lang kein eigenes Land und
keinen eigenen Staat gehabt hat! Da müssen wir wohl, mit dem Apostel Paulus sagen.
„Ich gebe ihnen das Zeugnis, dass sie eifern um Gott.“ Ja, das sie in
ganz erstaunlicher Weise sich einsetzen, um Gott gehorsam zu sein.
Seht, liebe Freunde, das sollte unsere so satte,
leidenscheue Christenheit sehr ernstlich beunruhigen, wenn sie dieses Volk
sieht, und sieht, was es um seines Glaubens willen erlitten hat und noch
erleidet! Was es um unseres Gottes Willen erlitten hat und noch erleidet – um
unseres Gottes Willen, der der Gott ihrer Väter ist, der Gott Abrahams und
Isaaks und Jakobs, der Vater Jesu Christi. Ja, „ich gebe ihnen das Zeugnis,
dass sie eifern um Gott, aber mit Unverstand“. Worin dieser Unterschied
besteht, das drückt der Apostel Paulus nun in sehr schweren und in sehr
gewichtigen Worten aus, die nicht leicht zu verstehen sind: „Denn sie
erkennen nicht die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, und trachten, ihre eigene
Gerechtigkeit aufzurichten, und sind also der Gerechtigkeit, die vor Gott gilt,
nicht untertan. Denn Christus ist des Gesetzes Ende; wer an den glaubt, der ist
gerecht.“
Seht, liebe Freunde, nicht den Eifer Israels, mit dem es
leidet um seiner Erwählung willen, nicht den tadelt der Apostel Paulus. Vielmehr
tadelt er dies an jenem Eifer Israels, dass er in der Besonderung geschieht.
Sie „trachten, ihre eigene Gerechtigkeit aufzurichten“- – das
heißt, dass diese Israeliten stolz darauf sind, um Gottes willen, um ihrer
besonderen Erwählung willen, leiden zu dürfen. Ich habe in manchem Zeugnis von
Juden das schon in ergreifender Weise aussprechen hören, wie stolz Israel gerade
auf dies Vorrecht ist, um
Gottes Willen leiden zu dürfen, es, Israel allein und in
einer ganz besonderen Weise. Das ist jene „eigene Gerechtigkeit“, die Paulus
abweist, die er abweist, indem er hinweist auf Christus. Denn das ist ja die
große Erkenntnis, die Paulus nimmer müde wird zu verkündigen, dass Christus des
Gesetzes Ende ist. Das Ende jenes Gesetzes Moses, das die Besonderheit Israels
bewirkte, und an dem dies Volk bis heute, und oft mit ungeheurer Strenge,
festhält. Das ist es, was Paulus nicht müde wird zu predigen: Nicht dies
Gesetz, das die Juden absondert von den Nichtjuden, von allen anderen Völkern,
nicht dies Gesetz begründet die Gemeinschaft mit Gott. Vielmehr: Allein der
steht in der wahren Gemeinschaft mit Gott drin, der an den Herrn und Heiland
Jesus Christus glaubt. Das haben freilich wir alle miteinander, liebe Freunde,
längst schon begriffen, dass es auf diesen Glauben an Jesus Christus ankommt.
Aber: Haben wir auch begriffen, was es heißt, zu eifern um diesen Herrn, wie
Israel um Gott eifert?
Sehr, es ist gewiss nicht von ungefähr, dass die christliche
Kirche auf ihren ganzen Weg durch die Zeiten immer begleitet wurde von dem Volk
Israel, von denen, denen der Apostel Paulus das Zeugnis ausgestellt: „Sie
eifern um Gott, aber mit Unverstand.“ Haben wir nicht, liebe Freunde, über
all unserem rechten Verstand des Glaubens den Eifer vergessen, den jene zeigen.
Die Bereitschaft um der Gemeinschaft Gottes willen fremd zu sein in dieser
Welt. Und diese Fremdheit wirklich zu durchleiden in der Gefolgschaft unseres gekreuzigten
Herrn, so, wie Israel seine Fremdheit unter den Völkern durchleidet! Vergessen
wir nie, liebe Freunde! Wir gehören als Christen zusammen mit den Juden, ihr
Gott ist unser Gott, ihre Väter sind im Glauben auch unsere Väter, ihre Heilige
Schrift ist unser Altes Testament! Vergessen wir nie, dass wir mit diesem Volk
zusammengehören. Dass das Leiden, das ihm zugefügt wird, Leiden um unseres
Gottes willen ist. Welch grausame Verirrung, wenn einer, der sich als gläubiger
Christ bezeichnet, so sagen konnte, das deutsche Volk sei der Jäger, von Gott
dazu bestimmt, den Juden zu hetzen! Nicht dazu sind wir da, wir Christen, um
Israel in sein einsames Leiden hineinzustoßen, sondern um es in die
Gemeinschaft derer zu rufen, die zu dem gekreuzigten Christus gehören. Seht,
wir gehören zusammen, Israel und die Christenheit, denn miteinander sind wir
dazu berufen, Gemeinschaft mit Gott zu haben. Gebe er in seiner Barmherzigkeit,
dass auch Israel zu dem Herrn findet, der uns in diese Gemeinschaft führt durch
sein Leiden am Kreuz. Amen