Okuli, 26.2.1989, Martin-Luther Kirche, Büchenbach


336,1-4 All Morgen

Intr. 6

212,1-4 Christe du Beistand

193 Wo Gott der Herr

139 Verleih uns Frieden


Eph 5,1-8a

Lukas 9,57-62

Jer 20,7-11


Du unser Gott,

der du deinen Geschöpfen nahe bleibst, auch wo wir dich verlassen,

wir bitten ich,

lass uns hören auf das, was du uns sagen willst,

damit wir zu dir umkehren,

durch unseren Herrn und Bruder Jesus Christus, deinen Sohn,

der mit dir und dem heiligen Geist, lebt und regiert in Ewigkeit.


Du unser Gott,

bleibe bei uns mit deinem Wort, mit deinem Segen, mit deiner Heimsuchung.

Mach deine Gemeinde in aller Welt und hier an diesem Ort fähig und bereit, deine Wahrheit zu bezeugen. Du bist unsere Hoffnung. Lass uns allein auf dich vertrauen. Bring du zum guten Ziel, was wir angefangen haben.

Wir bitten dich, für die Völker und Staaten, für alle, die Gewalt erleiden und die Gewalt ausüben. Schaff du Recht und Frieden und gib allen deinen Kindern, dass ihnen ihre Menschenrechte zuteil werden.

Gib allen Menschen was sie brauchen, Brot und Heimat, Arbeit und Anerkennung. Wehre aller versteckten und offenen Ausbeutung von Menschen. Bewahre du alles Leben, damit dich deine Geschöpfe loben können.

Besuche die Einsamen und Kranken, geleite die Sterbenden, tröste die Trauernden.

Du unser Gott, komm und bring deine Welt zurecht. Amen.


Liebe Gemeinde!

Ob es unser Gott mit uns wohl einfacher hat, als mit den Leuten in Jerusalem und Juda, zu denen damals der Prophet Jeremia gesandt war? Denn täuschen wir uns nicht: Was da als Klage und Anklage Gottes durch den Propheten vorgebracht wird, das ist doch zugleich die Klage und Anklage Gottes gegen die Leute, die nicht merken wollen, wie sie alle miteinander in ihr Verderben rennen. Überredet hast du mich, Herr – so klagt der Prophet, hast mich verführt, wie einer einem Mädchen nachsteigt – und lässt sie dann sitzen wenn sie ihm zu Willen gewesen ist. So sagt er das, Jeremia. Nein! Was ihm Gott da zumutet, das ist Elend und Jammer, das ist Spott und Schande den ganzen Tag. Ein Einzelgänger ist er geworden über seinem Prophetenberuf, einer, auf den jeder Lausbub mit dem Finger zeigen kann, und macht seine schlechten Witze über diesen Jeremia, dieses ohnmächtige Gottesmännlein da, und alle klatschen ihm Beifall.

Warum das? Weil er Gottes Wort sagen muss, und niemand will es hören, und keiner will es wahr haben, dass das nun wirklich Gottes Wort ist. Schreien, hinausschreien muss er dieses Gotteswort, Zeter und Mordio „Frevel und Gewalt“, und hört dafür nur Hohn und Spott. Vielleicht kann gerade so ein Pfarrer diesen Propheten Jeremia in seiner elenden Lage besonders gut verstehen: Jeder will doch gehört werden. Jeder will doch bei den Leuten ankommen. Jeder will doch geliebt und gelobt werden. Und wenn es dazu nicht käme, das weiß ich ganz genau, dann ginge so ein armer Gottesmann ... auch jämmerlich zugrunde, so, wie Jeremia, der hier sein Elend seinem Gott entgegen schreit. Sie hören es nicht, sie lassen es nicht an sich heran, lassen es nicht in Ohren und Kopf und Herz herein, dieses Gotteswort, das Jeremia zu sagen hat! Nur eine Wirkung hat es: Dass es ihn immer mehr isoliert, dass er verlacht in der Ecke steht, dass kein Mensch mehr etwas mit ihm zu tun haben will. Sie lauern ihm auf, wollen ihm eine Falle stellen, warten darauf, dass er einen Fehler macht, ein unbedachtes Wort, eine falsche Bewegung, ein unrechtes Tun – damit sie ihn endlich los werden.

Verständlich, nur zu verständlich, dass dieser Jeremia sagt: Mir reicht es. Ich halte den Mund. Soll er doch sehen, dieser Gott, wie er mit diesen Leuten zurecht kommt. Ich will nicht mehr. Ich will es nicht mehr hören und sehen, wie es zugeht. Ich will es nicht mehr aufzeigen und sagen, was da los ist. Ich will nicht mehr als der gescholten und verprügelt werden, der angeblich nichts anderes kann, als das Unheil herbeireden. Aber was er da will, der Prophet Jeremia, das bringt er nicht fertig. Er will es Gott vor die Füße schmeißen, das ganze Gelumpe, das der ihm aufgeladen hat, als er ihn zum Propheten machte. Aber er kann es nicht; seinen Auftrag wird er nicht los. „Da dachte ich: Ich will nicht mehr an ihn denken und nicht mehr in seinem Namen predigen. Aber es ward in meinem Herzen wie ein brennendes Feuer, in meinen Gebeinen verschlossen, dass ich`s nicht ertragen konnte; ich wäre schier vergangen.“ Das ist sein Elend: Er muss reden, was die Leute nicht hören wollen. Er muss sein Zeter und Mordio rufen. Dabei lernt das doch jeder Vikar im Predigerseminar, dass ein Pfarrer positiv predigen soll, auf die Erwartung seiner Gemeindeglieder eingehen soll, die Leute nicht vor den Kopf stoßen soll, sondern freundlich reden, und so mit ihnen umgehen soll, dass sie den Gottesdienst mit einem guten Gefühl verlassen.

Was bleibt ihm, Jeremia, als nun in scharfen Worten Gott anzuklagen, der ihn in diese elende und unerträgliche Lage gebracht hat. Aber täuschen wir uns nicht: Was da als Klage und Anklage Gottes durch den Propheten vorgebracht wird, das ist doch zugleich die Klage und Anklage Gottes gegen die Leute, die nicht merken wollen, wie sie alle miteinander in ihr Verderben rennen. Sie haben sich eingerichtet. Sie wissen, wie es drinnen zugeht und zugehen muss, im Gotteshaus. Hier ist das Herrn Tempel! Da wird gefeiert, da haben wir den Ort der Ruhe, der Erbauung, des Trostes, der Vergewisserung im Glauben. Da wird also nicht Zeter und Mordio geschrien. Und wer das nicht hören will, der muss es fühlen: „Als aber Paschhur, ein Sohn Immers, der Priester, der zum Vorsteher im Hause des Herrn bestellt war, hörte, wie Jeremia solche Worte weissagte, schlug er den Propheten Jeremia uns schloss ihn in den Block am oberen Benjamintor, das am Haus des Herrn ist.“ (20,1.2) Wer nicht weiß, wie er sich da drin, im Gotteshaus, aufzuführen hat, dem wird es eben schmerzlich beigebracht.

Genau das ist es, was Jeremia nicht respektieren kann und nicht respektieren darf: Dass da drinnen im Gotteshaus der Ort der Ruhe und Erholung, des Trostes und der Vergewisserung ist. Und dass da nicht hineingehört, was draußen los ist. Er kann nicht anders: „Schrecken und Gewalt!“ so muss er schreien, Aber das will hier drin im Gotteshaus niemand hören. Dazu sind wir nicht hierher gekommen. So die damals, und wir heute doch kaum anders. Darum frage ich ja, ob es unser Gott mit uns wohl einfacher hat als mit den Leuten in Jerusalem und Juda, zu denen damals der Prophet Jeremia gesandt war. Was er sagen musste, wollten sie nicht hören; und was sie hören wollten, das konnte er nicht sagen: Dass Gott mit ihnen sei, und sie sicher seien mit ihrem Glauben, und es gut hinauslaufen müsse, da sie sich doch alle mit ihrem Glauben und Gottesdienst hier drinnen solche Mühe machen. Nein! Jeremia muss mit sein Worten diese unsichtbare Mauer zwischen dem Drinnen und dem Draußen durchbrechen. Und das haben sie ihm so übel zugenommen, dass er schließlich Gott selber vergessen wollte, wenn das nur möglich gewesen wäre.

Aber genau das konnte er ja nicht. Da wird uns, in dem Kapitel, das diesen Versen mit der Klage Jeremias vorausgeht, erzählt, wie er sie mitgenommen hat, nach draußen, und hingezeigt hat auf das, was dort los gewesen ist. Wie da auf einmal ganz anders geredet und gehandelt wurde als drin. Wie da ganz andere Mächte und Götter gegolten haben, denen man opferte: Erfolg und Leistung und Macht. Da war das Tofet, Ort der Menschenopfer – und Jeremia hatte Gottes Wort auszurichten: „Siehe, ich will ein solches Unheil über diese Stätte bringen , dass jedem, der es hören wird, die Ohren gellen sollen, weil sie mich verlassen und diese Stätte einem fremden Gott gegeben und dort anderen Göttern geopfert haben, und weil sie diese Stätte voll unschuldigen Blutes gemacht und dem Baal Höhen gebaut haben, um ihre Kinder dem Baal als Brandopfer zu verbrennen, was ich weder geboten noch geredet habe, und was mir nie in den Sinn gekommen ist“ (19,3-5).

Wohl, da geht es anders zu als drinnen im Gotteshaus. Und wer das weiß – und sie willen es alle - , der will es doch nicht wahrhaben. Drin im Gotteshaus hat das nichts zu suchen.

Sollen wir dort hinaus, jetzt, wo der Gott Leistung und Erfolg heißt? Dort hinaus, wo es darum geht, im Konkurrenzkampf zu überleben? Da gelten andere Wertungen als hier drin. Und wer sich nicht behauptet, der soll abtreten. Was ist los da draußen, wo die wirtschaftlichen und die politischen Entscheidungen fallen? Was gelten da für Maßstäbe? Vielleicht kommt uns das noch am ehesten dort zum Bewusstsein, wo Menschen dort draußen mit diesen Maßstäben nicht mehr zurecht kommen, und sich dann in auswegloser Situation vorfinden und meinen, da bliebe nur noch die Möglichkeit, Hand an sich selbst zu legen, wenn der mit allen Mitteln, erlaubten und unerlaubten, gesuchte politische Erfolg ausbleibt, wie beim Ministerpräsidenten in Kiel, wenn die Verstrickung der eigenen Firma in zwielichtige Geschäfte aufkommt, wie beim Betriebsleiter der Imhausen-Chemie in Lahr, wenn sich die Pleite der Gesellschaft ankündigt wie beim stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenten von Coop. Was sind die Maßstäbe, die da gelten, nach denen sich da Menschen selbst beurteilen müssen, weil sie doch auch von anderen so beurteilt werden?

Aber gerade da muss Jeremia dabei bleiben bei dem Wort, das ihm aufgetragen ist. Hier drinnen im Gotteshaus muss gesagt werden, was da draußen geschieht. Denn das ist die einzige Hoffnung, die da noch bleibt: Dass draußen eine Gott gemäße Ordnung einkehrt. Dass die Götzen, die falschen Maßstäbe und Werte gestürzt werden. Sonst treibt, was da draußen ist, dem Untergang entgegen. Und wie kann dann das Gotteshaus und der Gottesdienst hier drinnen bestehen bleiben? Ich sage das sehr bewusst so: Das ist die einzige Hoffnung, die noch bleibt, das Gott gerade da draußen ist, bei seiner Welt, bei seiner Kreatur, bei seinen Menschen. Und dass er sich da Gehör verschafft: Er nicht hören will, der muss fühlen. Wer das Gotteswort des Propheten nicht hören will, muss Gottes Macht fühlen. Ob es unser Gott mit uns einfacher hat als mit den Leuten damals? Denn täuschen wir uns nicht: Die Anklage des Propheten gegen Gott ist Gottes Anklage gegen die, die nicht hören.




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