Lätare, 8. März 1959, Wolfenhausen/Nellingsheim
337,1-5 Du höchstes Licht, ewiger Schein
293,1-4 Jesu meine Freude
293,6
145,6.7 Herr, für dein Wort
2. Mose 16, ptm
Joh 6,47-51 a, 41-46
Liebe Gemeinde!
Darum haben die Juden Jesus nicht verstehen können, weil sie glaubten, sie kennten ihn doch ganz genau. „Ist dieser nicht Jesus, Josephs Sohn, des Vater und Mutter wir kennen? Wie spricht er denn: Ich bin vom Himmel gekommen“ Und wenn wir noch ein wenig genauer auf die Worte hinsehen, dann merken wirs, dass sie ja nicht nur glaubten, sie wüssten Bescheid über Jesu Herkunft, und könnten darum seine Worte als Lügen und Torheit hinstellen. Sie meinten ganz allgemein, sie wüssten doch Bescheid über das, worüber Jesus redet: Sie wüssten Bescheid über das Manna, das Himmelsbrot, das damals in der Wüste ihren Vätern das Leben erhielt. Sie wüssten das überhaupt war das heißt: Himmel und Gott und Leben und Tod. Seht, darum fällt es uns oft so schwer, die Worte Jesu zu verstehen, wie sie uns der Evangelist Johannes berichtet, weil es uns genau so geht.
Meinen wir das nicht auch, wir wüssten schon, was das heißt: Himmel und Erde, Leben und Tod, Gott und Mensch! Als ob das schon von vorneherein so klar und eindeutig wäre. Als ob wir so ohne weiteres von Gott wüssten, und ihm dann womöglich noch Vorschriften machen wollten, wie er sich zu verhalten und was er zu tun habe. Als ob wir wüssten, was Leben heißt! Als ob wir das so ohne weiteres verstehen könnten, was Jesus meint, wenn er vom Leben redet! Dass das gar nicht so einfach zu verstehen ist, werden wir sogleich merken, wenn wir etwa jenen einen Satz genau betrachten, der insbesondere den Widerspruch der Juden herausgefordert hat „ Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel gekommen ist. Wer von diesem Brot essen wird, der wird leben in Ewigkeit.“
Werden wir dadurch, wenn wir`s richtig ernst nehmen, was da gesagt ist, nicht geradeso vor den Kopf gestoßen werden wie die Juden? Was heißt denn das: Das lebendige Brot, das vom Himmel gekommen ist? Ist er denn vom Himmel gekommen, Jesus? Haben sie nicht recht gehabt, die damals sagten: Das stimmt doch nicht. Dich kennen wir doch von klein auf. Du bist auch nicht Besseres als jeder andere Mensch. Hast Vater und Mutter wie jeder andere auch. Also, das kann schon einmal nicht stimmen mit diesem vom Himmel gekommen sein. – Seht, liebe Freunde, das ist schon richtig so, was sie gegen Jesus vorgebracht haben, die Juden; das ist schon richtig so, dass er wirklich ein Mensch gewesen ist, ein ganz richtiger, ein ganz natürlicher Mensch, wie jeder von uns auch. Das ist schon richtig so, wenn die Juden das gesagt haben und hüten wir uns darum wohl, aus Jesus so etwas wie einen Wundermenschen, wie einen Halbgott, zu machen. Das ist er nie gewesen und hats auch nie sein wollen.
Aber darin haben die Juden nicht recht gehabt, dass sie meinten, sie wüssten doch ganz genau wie ein Abgesandter des Himmels auszusehen hat. Das war ihr Fehler, dass sie meinten: Wenn Gott uns etwas zu sagen hat, dann muss er uns doch zum mindesten einen Engel schicken, dem man es gleich ansieht, dass er etwas anders ist als wir Menschen. Wenn Gott uns etwas zu sagen hat, dann muss das gewaltig und herrlich geschehen, dass kein Missverständnis und kein Zweifel möglich ist. – Seht, so haben sie gedacht, die Juden! Es muss etwas Besonderes, Gewaltiges, ganz und gar Außerordentliches und Himmlisches sein, wenn Gott anfängt zu uns zu reden. Darum wollten sie nicht glauben, als Jesus zu ihnen sprach, ganz ein gewöhnlicher Mensch, ganz und gar, wie eben ein Mensch redet, ein Mensch mit menschlicher Stimme und menschlichen Worten!
Aber – sind das bloß die Juden gewesen, die so nicht zufrieden waren mit der Art, wie Jesus zu ihnen sprach? Ist`s nicht ein geheimer Gedanke unseres Herzens, den sie in ihrem Murren offen ausgesprochen haben? Ist`s nicht ein geheimer Wunsch unseres Herzens, dass doch endlich einmal Gottes Wort auf göttliche Art zu hören sei? So, dass jeder diesem Wort glauben müsste. So, dass sich keiner mehr hinter seinem Zweifel und hinter seinem Unglauben verschanzen könnte? So, dass sie alle miteinander auf die Knie fallen müssten und sagen müssten: Ja, du bist Gott, du bist der Herr, der Allmächtige; dir wollen wir gehorchen. Ist das nicht der geheime Wunsch unsere Herzens? Ist es nicht gar ein frommer Wunsch? Und doch geht es nicht an, dass wir so denken, dass wir so reden, dass wir solche Worte in unserem Herzen bewegen, Widerworte gegen Gottes Willen. Denn so hat es ihm gefallen, zu uns zu reden: Ganz menschlich, durch einen ganz normalen und natürlichen Menschen. –
Alle miteinander müssen wir uns diese Zurechtweisung gefallen lassen: „Murret nicht untereinader. Es kann niemand zu mir kommen, es sei denn, dass ihn ziehe der Vater, der mich gesandt hat.“ Was heißt das? Was meint Jesus damit, dass der Vater, der ihn gesandt hat, dass der einen Menschen zu Jesus ziehe? Seht – nichts anderes ist gemeint als eben dies, dass Gottes unsichtbare Hand das Herz eines Menschen anrührt, und dass er`s begreift: Jawohl, Jesus hat recht! Jawohl, Jesus ist das lebendige Brot, das vom Himmel gekommen ist! Jawohl, bei Jesus, da ist das ewige Leben. Aber wenn wir nun weiter fragen, wie denn das geschehe, jenes Ziehen des Vaters, jenes Anrühren unseres Herzens: Nirgends anders geschieht das, als dort, wo einer das Wort dieses Vaters hört und lernt. „Wer es hört vom Vater und lernt es, der kommt zu mir.“ Und das geschieht ja wiederum nirgends anders als eben dort, wo wir Jesu Wort hören!
Seht, da stehen wir vor ihm, und er lädt uns ein: Komm doch zu mir, glaub doch meinem Wort, lass doch dich doch durch mich zum Vater führen.
Wollen wir es machen wie die Juden? Die Juden, die sich hinstellten in ihrer Selbstsicherheit, und meinten: Beweise du uns erst einmal, dass du recht hast mit deinem Anspruch. Dass das wahr ist, was du sagst. Dass es wirklich Gott ist, der durch dich redet! Wollen wir es so machen? Oder werden wir es wagen. Werden wir es wagen, ihm und seinem Wort zu vertrauen.
Zu vertrauen darauf, dass bei ihm für unser Leben am besten gesorgt ist. Denn das will es doch wohl heißen, wenn er sagt: „Wer an mich glaubt, der hat das ewige Leben: Ich bin das Brot des Lebens. Eure Väter haben Manna gegessen in der Wüste, und sind gestorben. Dies ist das Brot, das vom Himmel kommt, auf dass, wer davon isset, nicht sterbe.“
Freilich, wenn wir diese Wort nun aufmerksam lesen, so kommt uns wiederum ihre merkwürdige Doppeldeutigkeit sehr wohl zum Bewusstsein. Was da gesagt ist über die Väter, über jene Israeliten, die einst mit Mose durch die Wüste gezogen sind, das leuchtet uns unmittelbar ein: Dass sie das Manna, das Brot, welches vom Himmel fiel, gegessen haben, und trotzdem gestorben sind. Aber wie ist es denn mit Jesus? Musste er nicht selber sterben? Und sind sie nicht alle auch gestorben, die zu ihm gekommen sind? Und wissen wir nicht ganz genau, dass wir alle miteinander auch einmal sterben werden? Wie kann Jesus dann sagen: „Dies ist das Brot, das vom Himmel kommt, auf dass, wer davon isset nicht sterbe.“
Da merken wir, wie Jesus den Worten Leben und Sterben seinen ganz besonderen Sinn unterlegt. Diesen Sinn werden wir dann gewiss nicht begreifen, wenn wir meinen, Leben und Sterben, das bedeute nun einmal das leibliche Leben und das leibliche Sterben und sonst nichts. Vielmehr: Leben, das bedeutet in Jesu Worten „mit Gott vereint sein“, und Sterben, das bedeutet „von Gott geschieden sein.“ Seht, das Himmelsbrot, das sie in der Wüste gegessen haben, das hat die Israeliten nicht davor bewahrt, dass sie Gott ungehorsam waren, dass sie bei jeder Gefahr murrten: Wären wir doch in Ägypten geblieben. Dass sie gar das goldene Kalb verfertigten und angebetet haben. Nein, sie waren wirklich von Gott geschieden, jene Israeliten, trotz der wunderbaren Gottesspeise, welche sie Tag für Tag zu sich nahmen. „Eure Väter haben Manna gegessen in der Wüste und sind gestorben.“
Dem gegenüber stellt sich Jesus selbst und redet davon, dass er das wahrhaftige Brot ist, das vom Himmel gekommen ist. Dass der nicht sterben wird, sondern leben in Ewigkeit, der von diesem Brot isset. Das heißt, einmal ohne Bild geredet: Dass der, welcher Jesu Wort glaubt, mit Gott vereint ist. So fest vereint, dass ihn auch der leibliche Tod nicht von Gott trennen kann.
Wer Jesu Wort glaubt, - gehörten wir zu denen, die das wirklich tun? Gehören wir zu denen, welche sich an Jesus halten? Gehören wir zu denen, die sich zu ihm halten, fest und ohne Zweifel? Seht, das kann ja nicht so geschehen, das wir's nur mit Worten tun! Das kann ja nur so geschehen, dass wir im gehorsam sind. Dass sein Leben unser Leben wird. Vergessen wir das ja nicht. Vergessen wir es gerade jetzt in der Passionszeit nicht: Über jenes Leben steht das Zeichen des Kreuzes aufgerichtet. Die Juden, die da gemurrt haben gegen ihm die haben es nicht dabei bewenden lassen. Sie haben bald genug nicht nur gemurrt, sondern lauthals geschrien: „Kreuzige ihn, kreuzige ihn.“
Das ist sein Leben gewesen: Preisgegeben dem Hass der Welt, die nicht an ihn glauben wollte. Können wir da bei ihm stehen, gerade da, wo ihm dieser Hass der Welt begegnet? Können wir da bei ihm aushalten, gerade da. Wo die Welt ihn nicht haben will? – Seht, das ist Glauben. Da ist das Essen des Lebensbrotes, wenn wir im Leiden bei Jesus ausharren. Dann, und nur dann wer den wir mit Gott vereint sein. Dann, und nur dann kann unser Leben zum ewigen Leben werden, das er seinen Jüngern schenkt. Amen.