Okuli, 8.3.1953 Eningen(?)
55,1-4 Gott des Himmels 266,1-4
10,1-3 Such wer da will 196,1-3
60,4.5 Meins Herzens Krohn 196,4.5 130,1-3 Liebster Jesu
198,4 Ich bin dein 55,4
2. Mo 1, 3-7
Johannes 6, 47-51a
Liebe Gemeinde!
Unsere
alten Maler haben dem Tod als ein Wahrzeichen seiner Macht das Stundenglas,
die Sanduhr in die Hand gegeben. Der Sand rinnt und rinnt, unaufhaltsam –
so ist dein Leben! Das wollten sie damit sagen. Dein Leben in der Hand des Todes
– jede Sekunde näher dem Augenblick, wo deine Zeit abgelaufen ist!
Dein Leben, deine Zeit, ein einziges Verrinnen, Vergehen, hin zum Ende, hinein
in den Tod, dessen drohender Schatten von der ersten Stunde an über diesem
Leben steht!
Es ist eine tiefe und erschütternde
Wahrheit, die sich in diesem Bilde des Stundenglases ausdrückt. Ist es
so, dass wir uns selber in dies Vergehen, das da als hartes Gesetz über
uns aufgerichtet ist, in stiller Ergebung schicken können?
Zwar, es sind Stunden, Zeiten in unserem
Leben, wo wir dies Vergehen, dies Verstreichen der Zeit als Wohltat empfinden
– ein Glück, dass die Zeit vergeht, und mit ihr Schmerz und Leid
und Not hinter uns zurückbleiben. Aber wohin werden wir denn gerissen von
dieser verströmenden Zeit? Warten wir nicht alle darauf, dass sich uns
endlich, an irgendeinem Punkte dieser Zeit das Leben aufschließt? Dass
uns in unserer Zukunft das Glück begegnet? Und wenn wir dort angelangt
sind, wie gerne würden wir doch da die Zeit anhalten. Der Philosoph Friedrich
Nietsche hat das in den Versen ausgesprochen: „Die Welt ist tief, und
tiefer als der Tag gedacht. Tief ist ihr Weh, - Lust, tiefer noch als Herzeleid:
Weh spricht: Vergeh! Doch alle Lust will Ewigkeit - will tiefe, tiefe, Ewigkeit.“
Wer ist es, der dem Tod das Stundenglas
aus der Hand schlägt? Wer ist es, der das Vorbei!, das über unser
Leben herrscht, besiegen kann? Wer ist es, der unser Leben hineinführt
in jene Ewigkeit, von der Nietsche in hoffnungsloser, trauernder Sehnsucht redet?
Unser Text, weiß uns eine Antwort
zu geben auf diese Frage! Wie spricht Jesus zu uns? „Ich bin das lebendige
Brot, vom Himmel gekommen. Wer von diesem Brot essen wird, der wird leben in
Ewigkeit!“
Drei Worte sind es, die uns immer wieder
begegnen in unserem Text. Das sind die Worte Brot, Essen, Leben. Lasst uns diese
Worte betrachten in ihrem eigentümlichen doppeldeutigen Sinne, in dem sie
der Evangelist gebraucht. Vielleicht dann verstehen wir dann etwas, von dem
Weg hinein in die Ewigkeit, der uns in diesen Worten aufgeschlossen ist!
1.)
Da ist einmal das Wörtlein Brot. Brot, das tägliche Brot, das ist der Inbegriff dessen, was unser Leben erhält. Ohne Brot müssten wir verderben. Wir wissen es oft gar nicht zu schätzen, was uns mit dem Brot gegeben ist. Und es ist vielleicht ganz gut, wenn uns hin uns wieder eine Zeit überfällt, wo uns dies Brot knapp ist, wo wir, gerade daran, dass es uns fehlt, merken, was wir an diesem Brot haben. Ist es nicht etwas Heiliges, dieses Brot? Und haben wir nicht eine Scheu davor, es mutwillig zu verderben? Fühlen wir nicht einen Schmerz, wenn wir irgendwo in der Gosse ein Stück Brot liegen sehen, das vielleicht ein Kind im Unverstand weggeworfen hat? Brot und Leben, diese beiden gehören zusammen. Doch das gewöhnliche Brot, das wissen wir im Grunde genau, es kann uns nicht vor dem endlichen Tod bewahren. Aber müsste es nicht irgendein wunderbares Brot geben, eine besondere Speise, die unser Leben vor dem Tode retten kann? Wir lächeln darüber, wenn da irgendein Amerikaner ein Buch schreibt, in dem er eine genaue Vorschrift zur Ernährung angibt, die man nur zu befolgen braucht, um mindestens 150 Jahre oder gar noch länger zu leben. Wir lächeln darüber, weil wir genau sehen, dass das ein untauglicher, ein kindischer Versuch ist, dem Tode seine Macht zu rauben, den rinnenden Sand in dem Stundenglas aufzuhalten. Und doch ist es ein recht interessantes Zeichen für die geistige Lage unserer Zeit. Wenn wir einmal einen Pack illustrierter Zeitschriften durchblättern: Eines der großen Themen, die dort immer neu wiederkehren, handelt von unseren Errungenschaften der ärztlichen Wissenschaft – von Wundermitteln im Kampf gegen Krebs und Tuberkulose, und dann vor allem immer neu von Verjüngungskuren, von Mitteln, das Leben zu verlängern, ob es nun Affendrüsen oder Hormone, ob es Trephoneier oder Zellsäfte sind: Man liest das gerne und mit gläubigem Vertrauen auf die Wissenschaft! Nun liest es gerne – sonst würde dies Thema ja nicht immer wieder in diesen Zeitungen auftauchen, die eine feine Witterung haben für das, was das Publikum sehen und hören will. Rinnt da nicht der Sand im Stundenglas des Todes langsamer? Und vielleicht wird es doch noch gelingen, ihn ganz zum Stillstand zu bringen! Welcher merkwürdig kindischer Glaube, der doch so viele beherrscht hat, welch lächerliches Vertrauen in unseren Menschengeist im Angesichte der gewaltigen Macht des Todes!
Nein! Das Brot des Lebens, die Speise, die uns vor dem Vergehen bewahrt, die müsste anders aussehen. Die müsste aus einer anderen Welt stammen. Es müsste wirklich Brot vom Himmel sein, aus der ewigen Welt Gottes. Die Juden, zu denen Jesus redete, wussten von solchem Wunderbrot, das vom Himmel gekommen war: Es ist das Manna, das das Volk auf seinem 40-jährigen Zug durch die Wüste ernährt hatte. Und doch: Eure Väter haben Manna gegessen in der Wüste und sind gestorben! Was will Jesus mit diesem Hinweis sagen? Dies göttliche Brot, das das Leben gibt, das stärker ist als der Tod, das ist gar nicht ein „Etwas“ …, das man besitzen kann, das man nach Belieben gebrauchen kann – so wie wir uns ein Stück Brot abschneiden, wenn uns hungert. Nein, wenn wir Jesus um das Brot des Lebens angehen, so wie das die Menschen damals getan haben, zu denen er die Worte unseres Textes spricht, wenn wir mit der Bitte zu ihm kommen: „Herr, gib uns alle Wege solch Brot“, dann müssen wir das erkennen und verstehen und begreifen lernen, dass es nicht ein „Etwas“ ist, dies Brot des Lebens, das wir von ihm begehren – sondern, dass er selber es ist, nach dem unser Verlangen steht, er der zu uns spricht: „Ich bin das Brot des Lebens. Ich bin das lebendige Brot, vom Himmel kommen.“ Er selber ist die Speise, die uns stark macht, dass wir den Tod überwinden: Ihn müssen wir gewinnen, seiner müssen wir teilhaftig werden, wenn uns nach dem ewigen Leben verlangt. Denn das ist seine Verheißung: Ich bin das lebendige Brot, vom Himmel gekommen. Wer von diesem Brot essen wird, der wird leben in Ewigkeit. Jesus Christus ist dies Lebensbrot: Er ist es darum, weil er für uns da ist, weil in ihm Gott selber bei uns erschienen ist. Er ist es, weil er sein ganzes Leben für uns gelebt hat, er ist es, weil er seinen Tod am Kreuze für uns gestorben ist. Hier, in Jesus Christus selber, haben wir die Speise, die unser Leben vor der Vergänglichkeit erretten kann. Hier ist der, der dem Tod sein Stundenglas entreißt. Der uns den Weg aufschließt in die Ewigkeit. Doch wie können wir denn dies Lebensbrot uns zu eigen machen, wie können wir Anteil gewinnen an Jesus Christus?
2.)
Da wollen wir uns nun dem Wörtlein Essen zuwenden, und uns fragen, wie es aussieht, dies Essen des Himmelsbrotes, dies Essen Jesu Christi, von dem unser Text sagt: „Dies ist das Brot, das vom Himmel kommt, auf dass, wer davon isset, nicht sterbe.“ Vielleicht ist es auch da auch da ganz gut, wenn wir uns zuerst klar zumachen versuchen, was dies Wort „essen“ in seinem gewöhnlichen Sinne bedeutet, ehe wir auf den bildlichen Sinn blicken, den es dann in den Worten unseres Textes gewonnen hat. Wie ist dies, wenn wir etwa ein Stück Brot essen? Da ist der Hunger da: Aber er zeigt ja das nur an, dass der Körper Nahrung benötigt. Nahrung, das heißt Kraft, sein Leben zu führen und zu erhalten. Und diese Kraft steckt im Brote. Der Getreidehalm hat sie aus der Erde gesogen, er hat sie eingefangen aus dem Licht der Sonne und der flüchtigen Luft. Wir brauchen, wenn wir leben wollen, diesen Mittler, diese Pflanze, die solche Lebenskräfte aufnimmt, und uns gibt, ob sie darüber auch ihr eigenes Leben verliert. Wir selber sind nicht imstande, uns diese Lebenskräfte der Sonne, der Luft, der Erde anzueignen, wenn uns nicht das Brot diese Kräfte vermittelt. Und doch – wenn wir das Brot essen, dann machen wir uns diese Kräfte ganz zu eigen, dann nehmen wir sie in uns auf, wandeln sie um in unsere eigene Lebensenergie. Dies alles meint das kleine Wörtlein „essen“, wenn wir es in seinem ganzen Sinne zu verstehen und zu begreifen suchen.
Doch was ist nun das „Essen“ des Himmelsbrotes, Jesus Christus, von dem unser Evangelium redet: Wer von diesem Brot essen wird, der wird leben in Ewigkeit? Ist auch hier von einem solchen leiblichen Essen die Rede? Wir könnten dann uns das Essen der Hostie im heiligen Abendmahl denken, könnten sagen, dass durch dieses Essen unserem Leibe überirdische Lebensenergie zugeführt werde, durch die er über den Tod hinaus uns erhalten werde zur Auferstehung. Doch so ist dies „Essen“ nicht gemeint, das zeigt uns schon der Eingang unseres Textabschnitts: Wer an mich glaubt, der hat das ewige Leben. Und wenige Verse davor wird es noch deutlicher ausgesprochen, wo Jesus sagt: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern und wer an mich glaubt, den wird nimmer mehr dürsten. Was das Essen des Lebensbrotes ist, das wird uns also beschrieben durch die Worte: zu Jesus kommen, an ihn glauben. – Doch was ist nun dies Glauben an Jesus? Wir haben dies Wort Glauben schon so oft gebraucht, dass wir uns schon kaum mehr etwas darunter denken können. Glauben: Das heißt doch für uns meist nur das, dass wir das eben für wahr halten, was uns von Jesus gesagt wird. Und darüber hinaus glauben wir natürlich auch, dass es einen Gott gibt, der alles, was geschieht, durch seinen Willen bestimmt.
Aber seht, liebe Freunde! Ist das nicht ein armes, schwaches, gehaltloses Glauben! Ein Glauben, das sich allein in unserem Verstand, in unseren Gedanken abspielt! Dies Glauben hat nur sehr wenig zu tun mit dem Essen des Lebensbrotes, von dem unser Evangelium redet. Freilich, wie unser Mund die Speise aufnimmt, wie der Magen sie verdaut, so geht das Wort von dem Lebensbrot Jesus Christus durch unser Ohr, und unser Verstand soll es fassen und begreifen. Allein die Lebensenergie, die uns so zugeführt wird, sie soll durch unseren ganzen Leib strahlen, sie soll all unser Denken und Tun regieren, Herz, Mund und Hände! Dies Essen des Lebensbrotes, dies Glauben an Jesus Christus, es will uns mit seiner Kraft ganz und gar durchdringen, es will uns umwandeln, es will uns neu gestalten. Da ist es nicht damit getan, dass wir einmal von diesem Lebensbrot essen, dass wir hin und wieder, wenn wir gerade ein besonderes Bedürfnis dazu verspüren, uns auf unseren Glauben besinnen. Etwa dann, wenn uns gerade eine besondere Not, ein besonderes Leid, oder auch eine ganz besondere Freude erfüllt. Nein! So wie wir täglich neu essen, um unserem Leibe die Kraft zum Leben, zur Arbeit zu all unseren Tun zuzuführen, so sollen wir auch täglich dies Lebensbrot Jesus Christus genießen. Unser ganzes Leben soll ein Leben aus der Kraft des Glaubens an diesen Herrn werden. Denn ein solches Leben, so verheißt er uns, das ist schon hier in dieser Welt das ewige Leben, das Leben, über das der Tod seine Gewalt verloren hat. Lasst uns darum nun zuletzt das ansehen, was unser Evangelium in diesem Wort Leben uns sagt.
3.)
Ist das aber eigentlich notwendig, dass wir uns nun auch noch über dies Wort Leben besinnen? Was Leben ist, das meinen wir doch alle zu wissen, und wir können doch sehr wohl einen lebendigen von einem toten Menschen unterscheiden. Und das ewige Leben – das ist uns ja allen selbstverständlich: Das ist das Leben, das nach dem Tode beginnen wird! Aber seht, gerade wenn wir so meinen, wir wüssten, was das Leben, und was das ewige Leben ist, dann müssen wir uns durch unser Evangelium eines Besseren belehren lassen. Da heißt es nämlich nicht so: Wer glaubt, der wird einmal das ewige Leben erhalten. Sondern da steht ganz einfach das da: Wer glaubt, der hat das ewige Leben! Also muss dies ewige Leben etwas sein, das schon bei in diesem natürliche Lebens seinen Anfang nimmt. Wir sagten, dies natürliche Leben sei das Leben, über dem als Zeichen der Herrschaft des Todes das Stundenglas, die unaufhaltsam verrinnende Zeit aufgerichtet ist. Und seht, das ewige Leben, das wir im Essen des Lebensbrotes, im Glauben an Jesus Christus haben, das bedeutet, dass dies Zeichen weggenommen ist, dass die Herrschaft, des Todes über dies Leben zerbrochen ist. – Aber ist denn das auch wirklich wahr? Wir müssen doch alle sterben, die Gläubigen wie die Ungläubigen, die Armen wie die Reichen – ja auch der großmächtige Stalin. Seht, gerade hier müssen wir lernen, das richtig zu verstehen, was unser Evangelium meint, wenn es vom Leben redet, vom ewigen Leben, das man im Glauben hat: Was das wahre Leben ist, das können wir nur dann verstehen, wenn wir ganz von dem Leben Jesu Christi durchdrungen sind. Wenn wir unser eigenes Leben aus diesem Leben Jesu Christi verstehen, wenn wir es in diesen Leben Jesu Christi verstehen, wenn wir es mit diesem Leben Jesu Christi verstehen. Und dies Leben Jesu Christi, das im Glauben an ihm, im Essen des Lebensbrotes, das er selber ist, unser Leben werden soll, das steht unter dem Zeichen des Kreuzes! Das wir das doch nie vergäßen! Ist dies Kreuz nicht der Inbegriff alles Unbegreiflichen, des Schmerzes, des Leidens, der Not, ja des Todes: Alles dessen was unserem Leben feind ist, was es bedroht, was es vernichten will! Ja, so mag es wohl aussehen, wenn wir dies Kreuz, dies Sterben betrachten, von dem aus, was wir gemeinhin unter dem Leben verstehen! Doch nun ruft uns Jesus zu: Hier, in meinem Kreuz, da ist dein Leben! Hier, in meinem Sterben, da ist dein Sieg! Und diesen Sieg sollst du dir zu eigen machen, indem du mich, das himmlische Lebensbrot, issest, indem du dir mein Kreuz zu eigen machst. Denn in diesem Kreuz, da ist ja besiegt, was dich vom wahren Leben trennt. Warum ist unser Leben der Vergänglichkeit ausgeliefert, warum steht über ihm das Stundenglas als Zeichen der Todesherrschaft: Weil wir uns an diese irdische Welt anklammern, weil wir ihr die Sicherheit suchen vor dem Vergehen (Bergsturz). Das Kreuz möchte uns scheiden von der vergehenden Welt! Es möchte uns hinführen zu der Geborgenheit, die uns allein Gott geben kann. Dass wir das doch lernten, dies Kreuz Jesu immer mehr in unser Leben hineinzunehmen, dieser Welt der Sünde immer mehr ab zu sterben, dass wir hingeführt werden zu dem Frieden, der das ewige Leben ist in Christo Jesu, unsern Herrn. Amen