Die
Referate und Diskussionen der Prackenfelser Jahrestagung vom 17.-19.01.03
sollen in Kurzfassung
festgehalten und allen Interessenten zugänglich gemacht werden. Ich bemerke
aber ausdrücklich, daß es hier um eine Kurzform meiner persönlichen Wahrnehmung
dessen geht, was da verhandelt worden ist. Das gilt für die Referate genauso
wie für das, was ich zur Diskussion sagen kann. Wer selbst dabei war und dieses
oder jenes zurechtrücken möchte, soll das selbstverständlich tun.
Unter dem Gesamtthema
“Von der Kostbarkeit des Lebens” haben wir Fragen einer medizinischen
und biologischen Ethik behandelt. Selbstverständlich konnten das nur einige
Ausschnitte aus der gegenwärtigen Diskussion sein, die zudem durch unsere
besondere theologische Perspektive bestimmt sind. Aber anders geht es in der
gegenwärtigen Diskussionslage kaum.
Zur Einführung
trug Prof. Dr. Heinrich Assel (Koblenz) am Freitagabend vor:
Einige anthropologische und theologische Fragen medizinischer
Ethik
Unter der
Überschrift “Unsauber Begründen: das reflektierte Gleichgewicht christlicher
Ethik”
wurde auf folgenden häufig nicht klar bewußten Sachverhalt
hingewiesen: Problematisch ist im Zusammenhang der ethischen Reflexion die
Frage nach der Allgemeinheit der Grundsätze, die das Handeln bestimmen. Rechtsnormen
und moralische Prinzipien beanspruchen, für jeden möglichen Fall zu gelten.
Sie werden zwar sicher in die Handlung mit einfließen. Aber sie können keine
zureichende Begründung dafür geben, was jeweils zu tun ist und getan wird.
Hier spielt vielmehr Tugend als ein eingeübtes Verhalten eine wichtige Rolle:
solche Tugend ist gelernt, steht also in einer bestimmten Tradition des richtigen
Handelns und Verhaltens, deren Reichweite aber selbstverständlich auf den
jeweiligen Traditionszusammenhang beschränkt ist.
Zudem verweist Assel auf “Intuition” als eine praktische Wahrnehmung,
die in bestimmten Schlüsselsituationen erlernt werde. Sie sei zwar überwiegend
emotional bestimmt, aber doch dissensfähig, also in ihrer Strittigkeit auch
zu rechtfertigen. Intuitiv erfaßte Situationen gehören in den Handlungszusammenhang
mit hinein, wobei sich wieder Situation als das Ensemble für die
jeweilige “Zeit” relevanter Sachverhalte bestimmen ließe. Wird Menschsein
dabei von seinem legitimen Glücksverlangen her erfaßt, dann muß angegeben
werden können, wann ein Begehren einem
wahren Glücksbedürfnis entspricht, wann ihm also nachzugeben ist, oder wann
es zurückgewiesen werden muß. Bei solcher Beurteilung des eigenen wie eines
fremden Glücksverlangens ist wieder Tradition und Erfahrung von entscheidender
Bedeutung. In die Handlungsmaxime fließen solche Einübung und Erfahrung selbstverständlich
mit ein. Soll über eine konkrete Handlungsentscheidung Rechenschaft gegeben
werden, dann müssen diese Momente des Allgemeinen und des Besonderen in ihrem
Zusammenspiel gesehen werden. Also einerseits
moralische Prinzipien und rechtliche Normen, andererseits die Situationsbestimmtheit,
in die durch die jeweilige Lebensgeschichte der beteiligten Personen bestimmte
Traditionen und Erfahrungen mit eingehen. Dabei ist dann auch ein ethisch
gebotener Normverstoß als Handlungsmöglichkeit mit zu bedenken.
Ein Fallbeispiel
: Eine alte Frau, die unter Antriebsschwäche nach einer Antibiotika-Behandlung
leidet und deshalb nicht genügend Nahrung und Flüssigkeit zu sich nehmen will,
redet davon, sie sterben zu lassen und verweigert eine Ernährungssonde. Das
Konzept einer Patientenautonomie kann dabei nicht prinzipiell der Königsweg
für eine richtige Entscheidung sein. Die Pflegeeinrichtung ist ja verpflichtet,
eine “Basisbetreuung” aufzubringen, zu der auch das Stillen von Hunger und
Durst gehört.
Hier ist auf
ein Ethos der Anwaltschaft zu verweisen: Die für Patienten Verantwortlichen
werden u.U. an deren Stelle zu entscheiden haben. Freilich muß auch das relativiert werden. Nicht ich selbst noch andere Menschen können
letztlich über die berechtigten und zu erfüllenden Bedürfnisse des Glücksverlangens
entscheiden, obwohl wir ständig solche Entscheidungen treffen. Das Referat
von Dr.Petra Kutscheid widmet sich ausführlich dem hier genannten Problem.
Darum ist jetzt nur noch anzuzeigen, daß in diesem Zusammenhang der Mensch
als Person in seiner Freiheit zu bedenken ist. Person ist dabei ein einziges,
jemand, der in seiner spezifischen Natur aus vitalen Bedürfnissen, psychischen
Funktionen und rationalem Vermögen existiert, ohne diese Natur zu sein.
Am Samstag vormittag
führte zunächst Prof. Assel seine Überlegungen weiter unter dem Thema
“Anonymes Leben”
Er will zu
einem anthropologischen Verständnis von Leben zu führen, das dem komplexen
Problem möglichst gerecht wird. Die Reduktion eines sehr viel komplexeren
Lebensbegriffs auf den nackten Anfang und das nackte Ende in der gegenwärtigen
Debatte komme aus dem Zwang, klinisch-medizinische Praktiken normieren zu
müssen. Die auf einen normativen Personbegriff fixierte Diskussion verdecke
dabei leicht andere Wahrnehmungen personalen Lebens im Klinikalltag, den Hirntoten,
der doch geachtet werden wolle oder das namenlose Frühchen das beerdigt werden
will. Wenn es um das kostbare Leben gehe, dann nur in einem bekleideten Begriff.
Assel will
darum nicht direkt auf medizinisch-ethische Normen und Definitionen hinzielen,
sondern praktisches lebensweltliches Orientierungswissen vom bekleideten Leben
beschreiben, das zum christlichen Glauben gehöre. Dabei sind zunächst einmal
die Unterscheidungen von “Außen” und “Innen”, von “Insein” und “Mitsein” zu
lernen, schließlich die Unterscheidung von Anfang und Ursprung der Person.
Diese soll zeitlich anfangslos bleiben, weil sie einen nichtempirischen Ursprung
hat, vgl. das Lied von Paul Gerhardt: “Da ich noch nicht geboren war...”
Das wird weitergeführt
mit Überlegungen zum Taufnamen und zur Namenstaufe. Der Name besiegle die
Individualität und ordne ein und unter, beginnend mit Familie und Sippe. Mit
Helmut Plessner weist Assel darauf hin, daß Namensgebung stets ins Doppelgängertum
führe: Rollenträger und Rollenfigur. Mit dem Eigennamen erreichten wir also
stets einen Menschen, den wir im Prinzip verwechseln können. Darum ist dann
von der Namenstaufe zu sprechen: Das Kind, das einen Namen hat, wird auf den
göttlichen Namen getauft. Der Taufname macht einzigartig, die Namenstaufe
einzig. Denn hier wird der Name durch den einzigen Gottesnamen qualifiziert.
Also müsse sich im menschlichen Leben auch etwas auffinden lassen, was sich
jeder Definition des Lebens entzieht. Es müsse sich da “ein Spalt des Negativen”
öffnen, durch den menschliches Leben dem Zugriff entschlüpft.
Soteriologisch
ist uns das nicht unbekannt. Leben im Geist wird dabei an der Praxis des Gebetes
verdeutlicht. Etwa Ps 115 übt Unterscheiden und Selbstunterscheiden unnachahmlich
ein: “Nicht uns HERR, nicht uns sondern deinem Namen gib Ehre um deiner Gnade
und Treue willen. Warum sollen die Heiden sagen: Wo ist denn ihr Gott? Unser
Gott ist im Himmel; er kann schaffen, was er will... Der Himmel ist der Himmel
des HERRN: aber die Erde hat er den Menschenkindern gegeben. Die Toten werden
dich, HERR nicht loben, keiner der hinunterfährt in die Stille; aber wir loben
den HERRN, von nun an bis in Ewigkeit.” Was da lobt, das ist ursprüngliches
Leben, nicht anfängliches. “Wir” leben da nicht mehr, um dann auch zu loben,
sondern wir leben vom Loben. Beten als ein Beispiels des Lebens aus dem Geist
kennt kein mit sich identisches zeitloses Subjekt, das dann etwas tut. Es
ist selbstvergessen subjektlos, aber gerade nicht apersonal.
Um vom soteriologischen
zum anthropologischen Verständnis von Leben und Person weiterzugehen, zieht
Assel nun eine Metapher heran, die er bei Luther (Magnificatauslegung von
1521) findet: Der Christenmensch aus Geist, Seele und Leib umfasse drei Gebäude
wie die Stiftshütte und der Tempel in Jerusalem, das dunkle Allerheiligste,
in dem Gott wohnt, das Heilige mit dem siebenarmigen Leuchter und den Vorhof.
“Geist” ist eine Leerstelle in der Person; der Glaube versetzt dorthin, wo
wir nicht sehen, fühlen und begreifen. Seele ist der Ort, wo nach Luther der
Geist zu einer menschlichen Person wird. Er vergegenwärtige sich indirekt
als Vitalseele. Das dritte Gebäude sind dann die jedermann sichtbaren Begehren.
Hier setzt die Ethik an. Freilich ist das Oberflächliche und die jedermann
sichtbare Tiefe des Oberflächlichen ein Spiegelkabinett nicht abschließbarer
Symbolisation.
Was hier beschrieben
wird, soll verdeutlicht und vertieft werden in einem Nachdenken über den Schmerz.
Hier ist ja ein Riß zwischen außen und innen, zwischen Körperereignis und
Leiberleben. Schmerz weiß dabei, was gutes Leben ist oder gutes Leben wäre.
Der Übergang
von unmerklichen Körpervorgängen zum bewußten Leiberleben sei eine merkwürdige
Sache. Hatte ich den Schmerz eigentlich schon bevor ich es merkte? Schmerz
im Moment des Erlebens, Fühlens und Verbalisierens entläßt darin ein Anderes,
Unbekanntes dieses meines Schmerzes aus sich. Ist auch dieser psychische Zustand
irgendwie meiner? Wie steht es mit dem intentional beherrschten, ausgereizten
Schmerz, den ich etwa beim Bergsteigen fühle? Odysseus am Mast vor der Insel
der Sirenen ist für diesen beherrschten ausgereizten Schmerz das gültige Symbol.
Schmerz, wie
beispielsweise auch Hunger läßt sich weder nur medizinisch-funktional noch
nur biologisch-teleologisch noch nur geistig-intentional beschreiben. Bewußtwerden
des Schmerzes ist etwas am Schmerz selbst. Potentieller Schmerz sei ein rätselhafter
Zustand. Die ungegenständlichen, präsubjektiven, präverbalen, präintentionalen
Zustände von Schmerz sind personal. Das heiße aber nur: sie sind nicht apersonal,
sondern potentiell personal. Potentiell personales Leben ist Leben im vorbewußten
Zustand - der Schwellenzustand des vitalen Bedürfens, der präzisiert werden
soll.
Solches potentielle
Befinden hat irgendwie teil am wertenden Erleben. Das Ausreizen der Schmerzgrenze,
für das Odysseus steht, deutet das an. Am anderen Ende der Skala zum Negativen
hin steht der übermäßige Schmerz der unbeherrschbaren Krankheit. Er ist schlechthin
nicht zu wollen. Hat der palliativ-medizinisch versorgte Patient, der selbst
bei Bewußtsein sein kann, dann in sich diesen Schmerz, der eigentlich unerträglich
ist? Ist es sein Schmerz, der ihm unmerklich sein Sterben und Verschwinden
ankündigt?
Schmerz in
dieser potentiellen Negativität erscheine als eine Grenze dessen, was wir
teilen, ohne es kommunizieren zu können. Paulus (Röm 8,18-25) schreibt die
Teilhabe an diesem Anderen des Selbst der schmerzfähigen Kreatur zusammen
mit dem Menschen zu. Gotteskindschaft reicht also in subjektlose Zustände,
die aber an sich selbst nicht apersonal sind. Das weist auf ein Leben, das
die Trennung von Selbstbewußtem und Bewußtlosem übersteigt.
Als Folgerung:
Menschliches Leben kann sich personal präsentieren auch wo rationale Kommunikation
nicht mehr stattfindet, auch wo das phänomenale Merkmal der menschlichen Gesichts
oder die Benennbarkeit mit einem individuellen Namen fehlt. Der Status dieser
Kommunikation ist prekär und voraussetzungsreich. Trotzdem könne das eine
moralische Kommunikation sein, ein In-sein von Leben in anderem Leben . Sie
werde assymetrisch von jenen aufrecht erhalten, die noch bewußtseinsfähig
sind. Aber sie subsistiere nicht in ihnen. Was in diesem geteilten Leben in
Anspruch genommen wird, ist das Andere unser selbst, das potentiell auch in
uns ist. Als Leben aus dem Geist kann es symbolisiert und beschrieben werden.
Ich kann hier
nur unterstreichen, was mir an den Überlegungen Assels besonders wichtig erscheint:
Es gilt über ein Verständnis von Leben hinauszukommen, das im bewußten Selbstverhältnis
jedenfalls die höchste Form von Leben sieht und von daher Freiheit als bewußte
Entscheidung definiert. Wenn Assel von subjektlosem, aber gerade nicht apersonalem
Leben redet, dann erinnert er daran, wie dieses Leben gerade in vorbewußten
oder unbewußten, unmittelbaren Vollzügen besteht. Eine Kommunikation, die
solches Leben in seiner personalen Gestalt und so als Freiheit des Menschseins
wahrnimmt, wird jede Verdinglichung verweigern, auch die eigene Verdinglichung,
in der ich mich von “meinem” Körper distanziere. Innen und Außen sind als
leibhaftes Leben viel enger verbunden, als daß solche Unterscheidung das Leben
treffen könnte. Das gilt dann aber genauso für die zwischenmenschliche Beziehung,
in der richtiges Verhalten und Handeln erfragt wird. Letztlich läßt sich darum
menschliches Leben nur von seinem Ursprung und Ziel in Gott her zureichend
bestimmen. Doch davon lassen sich keine praktikablen Normen für berechtigte
Bedürfnisse ableiten, so daß wir hier auf Traditionen und Erfahrungen angewiesen
sind, die sich bewähren müssen.
Frau Dr.Petra
Kutscheid (Fachärztin für Anästhesie und Intensivmedizin am Gesundheitszentrum
Evang. Stift, Koblenz) referierte zum Thema:
Jenseits der Advokation
Es war für
mich von besonderem Interesse, die Gedanken einer ständig unmittelbar an Entscheidungen,
wie sie in der Medizinethik in Frage stehen, Beteiligten zu hören. Gerade
hier wurde deutlich, wie wenig wir gegenwärtig schon mit bewährten Antworten
arbeiten können, wie offen vielmehr die Fragen sind, vor denen wir miteinander
stehen.
Frau Kutscheid
setzte ein mit dem Hinweis darauf, wie die Bioethik-Debatte der Entwicklung
der Möglichkeiten ärztlichen Handelns hinterherlaufe. Es zeige sich hier deutlich,
wie die Grenzen des Humanums disponibel geworden sind. Gerade die technischen
Möglichkeiten und die Frage nach den Grenzen ihrer Anwendung führten zur Verobjektivierung
und Verrechtlichung im Arzt-Patientenverhältnis. Unter Advokation sei in diesem
Zusammenhang zu verstehen, daß der Arzt als Anwalt des Patienten zu sehen
ist.
1. Advokation
als Anwaltschaft setzt das Abhängigkeitsgefälle von Arzt und Patient voraus.
Der Arzt ist dabei grundsätzlich seinem Gewissen, der ärztlichen Ethik und
dem Prinzip der Menschlichkeit verpflichtet. Dabei hat der Wille des Patienten
als oberste Maxime zu gelten (Grundsatz des informed consent). Inwieweit freilich
solche Information möglich und der Patient zustimmungsfähig ist, das ist eine
offene Frage. Eine advokatorische Ethik sieht sich hier von der
Antizipation des Willens eines in der augenblicklichen Situation bevormundeten
Menschen getragen. Es gehe um eine prozessuale Ermittlung dieses Willens,
wobei der Arzt eben den mutmaßlichen Willen des Patienten zu erfüllen habe.
2. Advokation
als Anruf fragt nach der Notwendigkeit eines Mehr gerade angesichts der Abhängigkeit
des Patienten. Die Grenze einer advokatorischen Ethik sei der Andere selbst.
Unter Verweis auf Emmanuel Levinás erfolgte der Hinweis auf die Fremdheit
des Menschen, dessen Freiheit in seiner Andersheit zu respektieren sei. Jenseits
der faktisch unvermeidlichen Fremdbestimmung durch eine noch so gewissenhafte
Advokation nehme der Andere das Ich in eine Verantwortung, der es nicht gerecht
werden kann. Dieser Aporie können wir nicht entgehen, haben hier vielmehr
die Grenze unseres Handelns zu respektieren.
Dazu nenne ich einen Diskussionsbeitrag von H.G.Ulrich:
Zu bedenken sei hier ein zweifaches Mehr, das in das ärztliche Handeln eingeht.
Der Arzt tue, was in seiner Tradition sich bewährt hat und was er so gelernt
hat. Unterstellt werde bei allem Handeln
auch eine faktische Gemeinsamkeit, die sich als Grundsatz der Gerechtigkeit
beschreiben lasse.
Prof. Dr.Friedrich Heckmann, Hannover, trug zu dem Thema
Menschenbild und Menschenwürde in den Biowissenschaften
vor. Als Leitfrage nannte er: Was kostet das Leben und
wieviel ist es uns wert? Wir nehmen eine Veränderung unserer Wahrnehmung von
Wirklichkeit durch die Entwicklung der Biowissenschaften wahr. Welches Menschenbild
kommt uns hier entgegen? Wie läßt sich der in der ethischen Diskussion leitende
Begriff der Menschenwürde beschreiben und begründen?
1. Das Problem
der gegenwärtigen Diskussion kulminiert in der Frage nach einer Forschung
an embryonalen Stammzellen. Dabei wird große Hoffnung auf mögliche Forschungsergebnisse
projiziert. Durch die Entzifferung des menschlichen Genoms sind die Maßstäbe
für Gesundheit und Krankheit durcheinandergekommen. Als Redefinition gilt:
Krankheiten sind genetische Normabweichungen. Die Erwartung ist dann, daß
sich solche Normabweichungen korrigieren oder (vgl. Praeimplantationsdiagnostik,
PID) vermeiden lassen. Dazu kann (vorerst tierisches) Leben dann patentiert
werden, um es kommerziell zu nutzen. Die Ethik übernehme dabei die Rolle einer
Akzeptanztechnologie.
2. Menschenwürde
gründet im Menschenbild, das wieder von vorwissenschaftlichen Lebensüberzeugungen
bestimmt ist. Dabei sei das christliche Menschenbild inzwischen einer nicht
entscheidbaren Konkurrenz ausgesetzt. Da Forschung, die immer weiter gehen
soll, zugleich immer teurer wird, fragt es sich, welches Ethos die hier engagierten
Wissenschaftler gegenwärtig ausbilden.
3. Hier ist
auf die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen unserer
gegenwärtigen Situation hinzuweisen. Informations- und gegenwärtig vor allem
Biotechnologien tragen die Last des wirtschaftlichen Aufschwungs, auf den
alle hoffen. Gegenwärtig sei nur die Pharmaindustrie ein nennenswerter Markt.
Zwar gelten die Naturwissenschaften immer noch als wertfrei und objektiv.
Doch geben marktorientierte Organisationen und Programme die Ziele vor. War
vor dreißig Jahren kritisch von dem “militärisch-industriellen Komplex” die
Rede, so jetzt von dem “naturwissenschaftlich-industriellen Komplex”, der
freilich im Unterschied zu den USA in Deutschland noch nicht zureichend untersucht
sei.
4. Der Forscher
als handelndes Subjekt trägt Mitverantwortung für die Kommerzialisierung der
Forschung. Diese ist der Einflußnahme von Industrievertretern ausgesetzt.
Akademische Entscheidungen nach ökonomischen Kriterien (Drittmittelforschung
etc) sind kritisch zu sehen, jedenfalls gemessen an dem traditionellen Ethos
unserer Wissenschaft. Wenn öffentliche Kontrolle und Reputationsgewinn wegen
der kommerziell bedingten Geheimhaltung ausbleiben, verschiebt sich die Grenze
von Wissenschafts- und Wirtschaftssystem. Das führt zu einer Selbstkommerzialisierung
der Wissenschaft. Das zeigt sich etwa daran, wie sich der Kanon der biologischen
Bereiche hin zur Mikrobiologie verschoben hat.
5. Als Auftrag
des Marktes an Bioforschung und -technik gilt die Herstellung von Perfektionszuständen.
Die durch die Medien geförderte Entwicklung in Sport und Mode gilt der Arbeit
am eigenen Körper, Fitneß und Schönheit. Konsequenz ist auch eine neue Eugenik.
Es geht um Perfektion des eigenen Körpers wie der eigenen Nachkommenschaft.
Dabei geht der Ökonomismus mit dem menschlichen Körper um wie mit der Umwelt.
Damit in Beziehung steht die Ausgrenzung der Armen wie des behinderten Lebens.
Der Markt ist unbeschränkt, seine Chancen (“Heilungschancen” heißt das in
der Stammzellendebatte) sollen nicht durch ethische Bedenken blockiert werden.
Das heißt dann aber auch, daß uns das Gut “Gesundheit” als fast nicht mehr
bezahlbar entgegenkommt.
Aus der Diskussion
hebe ich zwei Problemkomplexe hervor:
Einmal geht es um die Analyse der gegenwärtigen ethischen Debatte
und ihre Fragwürdigkeit. Die Allgemeingültigkeit ethischer Wertungen setzt
eine Gemeinsamkeit auch in der Wahrnehmung der Wirklichkeit des Menschseins
voraus. Solche Gemeinsamkeit war schon immer ein Kriterium ethischer Überlegungen.
Es kann aber nicht angehen, daß wir um dieser Gemeinsamkeit willen grundlegende
Sachverhalte unserer durch den christlichen Glauben bestimmten Wirklichkeitsauffassung
aufgeben. Mindestens müssen wir uns bewußt halten, wie stark die unsere Gesellschaft
bestimmende Auffassung von Wirklichkeit durch Leitbilder bestimmt ist, die
wir uns nicht zu eigen machen können. Einmal ist das ein Verständnis des Menschseins,
das seine eigene Evolution in Hinsicht auf eine immer größere Perfektion selbst
in die Hand genommen hat; dabei ist die Zielvorstellung solcher Perfektion,
die an Hoffnungen und Wünsche appelliert,
selbst wieder medial gesteuert. Zum anderen ist dabei die Verflechtung
wissenschaftlicher, technischer und ökonomischer Motive solcher Evolution
wahrzunehmen. Das bedeutet nicht nur, daß die Zielvorgaben solcher Perfektionierung
zugleich durch die Erwartung ökonomischen Nutzens partikularisiert werden.
Wer die Fortschritte in Wissenschaft und Technik für sich reserviert (Patentierung
dann doch wohl auch menschlichen Lebens), gewinnt durch solchen Fortschritt.
Zugleich werden die Menschen, die sich solchen Fortschritt mit seinen immensen
Kosten nicht leisten können, von dieser Entwicklung ausgeschlossen. Das gilt
für Arme in unserer Gesellschaft, etwa alte Menschen, wie erst recht für den
Großteil der Menschen in “unterentwickelten” Gesellschaften. Solcher Partikularisierung
- also der fehlenden Gerechtigkeit - kann sich ein christliches Menschenbild
und eine durch dieses bestimmte Wertordnung auf keinen
Fall anschließen. Sie hat vielmehr das Recht aller Menschen,
das in ihrem Personsein vor Gott begründet ist, festzuhalten und zu
vertreten.
Weiter
ist auf die problematische Situation der in diesen Entwicklungsprozeß eingebundenen
Menschen zu achten. Zwar sind wir alle betroffen durch das gesellschaftliche
Menschenbild mit seiner Vorgabe der Perfektionierung, das uns alle, sei es
auch unbewußt, beeinflußt. Aber wir können hier sicher distanzierter beobachten
und urteilen als in dem wissenschaftlich-technischen Prozeß stehende Menschen.
Die Eigengesetzlichkeit der laufenden Entwicklung erschwert ja den Versuch,
traditionelle Wertungen, sei es eines christlichen Menschenbildes, sei es
der Tradition unserer Wissenschaft,
sei es des ärztlichen Handelns in die Handlungsentscheidungen einzubringen.
Wer ethische Skrupel hat - das gilt auch für die Entscheidung in politisch
konstituierten Ethikkommissionen - weiß ja, daß letztlich doch alles das gemacht
wird, was gemacht werden kann. Warum sollen es dann andere machen und davon
profitieren, wenn wir es auch könnten? Die Entscheidung des Nationalen Ethikrates
für eine begrenzte Zulassung der PID ist dafür jüngstes Beispiel. Dazu ist
auf die Subjektproblematik zu achten. Das allgemeine Subjekt von Wissenschaft
und Technik, in das die Einzelnen sich einbringen, um den arbeitsteiligen
Prozeß weiterzuführen, funktioniert ja so, daß dabei die gemeinsamen intellektuellen
Fähigkeiten in Anspruch genommen werden, die Person mit ihren eigenen Traditionen,
ihrer lebensgeschichtlichen Prägung, ihren Gefühlen aber ausgeklammert wird.
Man hat davon als von der Voraussetzungslosigkeit der Wissenschaft gesprochen.
Pointiert formuliert heißt das: Das Subjekt der Wissenschaft ist per definitionem
gewissenlos. Das bedeutet aber für die gewissenhaften an diesem Prozeß beteiligten
Individuen eine ungemeine Belastung, die wir auf jeden Fall wahrnehmen und
der wir unsere Solidarität nicht versagen können.
Welche Folgerungen
ziehen wir aus diesen Beobachtungen?
Wir werden uns aus der ethischen Diskussion sicher nicht
zurückziehen können und wollen. Doch darf diese Beteiligung nicht die kritische
Distanz verlieren. Es ist unser Vorzug als Theologen, daß wir nicht so stark
in das wissenschaftlich-ökonomische und das mit diesem verbundene politische
Interessengeflecht einbezogen sind. Diese Möglichkeit einer kritischen Distanz
darf nicht verspielt werden, auch
wenn darunter möglicherweise die Kommunikabilität dessen leiden kann, was
wir vorzubringen haben. Information und Reflexion, wie sie für mich beispielsweise
die Referate und Diskussionen dieser Tagung in reichem Maß gebracht haben,
sind dabei unabdingbar. Zugleich haben
wir uns aber auch um die Weitergabe der Wertungen zu bemühen, die uns von
unserer biblisch-christlichen Tradition her aufgetragen sind. Dabei sollten
wir auch den Konflikt mit Mehrheitsmeinungen, auch mit wissenschaftlichen
und von daher dann weltanschaulichen Gemeinplätzen unserer Gesellschaft nicht
scheuen. Ich nenne dazu nur eines, das mir immer wichtiger wird: Vom Zeugnis
von der Auferstehung des gekreuzigten Jesus Christus her werden wir die Gewißheit
des Lebens der letztlich durch die Allmacht des Todes bestimmten modernen
Weltsicht - schlagwortartig: vom Urknall bis zum Wärmetod - entgegensetzen.
Wenn uns das dann den Vorwurf eines Fundamentalismus gerade aus den eigenen
Reihen einträgt, ist das zu ertragen.
Die nächste
Tagung vom 16.-18.01.2004 soll an der Fragestellung weiterarbeiten. Entweder
soll als Thema bearbeitet werden, wie wir in den unterschiedlichen Situationen
unseres kirchlichen Redens - Predigt, Unterricht, Erwachsenenbildung, aber
auch interreligiöser und weltanschaulicher Dialog auf den unterschiedlichen
Ebenen - richtig von der Schöpfung
sprechen. Oder es soll, wenn ein entsprechender Referent gefunden werden kann,
die Problematik der Evolutionsvorstellung in der Naturwissenschaft wie ihre
Vulgarisierung das Thema abgeben.
Prof.Dr. Friedrich Mildenberger Rehweiherstraße 7 91056
Erlangen
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E-Mail Mildenberger-Kosbach@t-online.de